Am Dienstag, 21. November 2023 wird vor dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim die Klage wegen ungenügenden Brandschutzes beim Projekt Stuttgart 21 verhandelt.

Am 17. Juni 2020 hatten die Schutzgemeinschaft Filder e.V., das Aktionsbündis gegen Stuttgart 21, der Verein zur Förderung des Eisenbahnwesens e.V., sowie mehrere Privatpersonen Klage beim Verwaltungsgerichtshof Mannheim gegen das Eisenbahnbundesamt wegen völlig mangelhaften Brandschutzes beim Bahnprojekt Stuttgart 21 eingereicht.

Und am 13. Juli 2021 hatten die Kläger dann zu ihrer Klage eine ausführliche Klagebegründung (hier als pdf-Datei) nachgereicht.

Die wesentlichen Argumente dieser Klage sind unter “3. Im Einzelnen zum Brandschutzkonzept bei S 21” im Abschnitt “IV. Faktenvortrag zur Klagebegründung” aufgeführt:

Folgende besonders ungünstige Umstände wurden im Rahmen des Gesamtkonzeptes nicht bzw. nicht ausreichend berücksichtigt:

  • Bei einem schweren Brandereignis wird die Fremdrettung von Personen, welche die Ereignisröhre nicht rechtzeitig aus eigener Kraft verlassen konnten, nicht möglich sein. Diese Personen werden wegen der viel zu langen Anmarschzeiten der Rettungskräfte bereits im Brandrauch umgekommen sein.
  • Als zur Verfügung stehende Selbstrettungszeit wurden 15 Minuten angesetzt. Diese Zeit steht jedoch überhaupt nicht zur Verfügung, weil sich im Brandfall der Rauch viel schneller ausbreitet und die enthaltenen Giftgase viel schneller eine tödliche Konzentration erreichen.
  • Der Simulation von Gruner wurden bei allen Parametern die jeweils günstigsten Werte zugrunde gelegt, weil sonst selbst die mit 15 Minuten viel zu hoch angesetzte Selbstrettungszeit schon rein rechnerisch nicht hätte eingehalten werden können. Dieses Vorgehen verschleiert die tatsächlich zu berücksichtigenden kumulierenden Gefahren im Brandfall des speziell durch seine Vielzahl von Tunnelstrecken und unterirdischen Bahnhöfen gekennzeichneten Projekts.
  • In der Simulation wird unterstellt, dass der brennende ICE mittig zwischen 2 Rettungsstollen (Abstand 500 m) zum Stehen kommt und daher bis zum nächstgelegenen Querstollen höchstens 250 m zu bewältigen sind. Dabei wird offensichtlich ignoriert, dass der nächstliegende Rettungsstollen durch aufsteigende
  • Rauchentwicklung oder den brennenden Zug selbst versperrt sein könnte, wodurch sich der Fluchtweg dann auf bis zu 500 m erhöhen würde.
  • Erschwerend kommt im Fall der Verdoppelung des Fluchtwegs auf bis zu 500 Meter die Geschwindigkeit der Rauchausbreitung hinzu. Für einen Fluchtweg von 500 Metern steht nicht genügend Zeit zur Verfügung, denn die Flüchtenden werden weit früher von den tödlichen Rauchgasen eingeholt. Ohnehin ist in einer Paniksituation mit irrationalen Verhaltensweisen der Flüchtenden zu rechnen bis hin zu der Möglichkeit, dass alle Reisenden durch einen einzigen Rettungsstollen flüchten, auch wenn der zweite nicht versperrt sein sollte. Dies würde die Fluchtzeit ebenfalls verlängern und noch mehr Panik verursachen.
  • Für die Berechnung der benötigten Zeit, um im Zuginnern zu den Türen zu gelangen, wurde die Simulation programmbedingt mit einem ICE ohne Sitze durchgeführt; ein indiskutables Vorgehen, welches nichts mit tatsächlich gegebenen Situationen bei der raschen Entfluchtung eines in Brand geratenen Zuges zu tun hat.
  • Der bei dem alternativ zu untersuchenden Brand eines Doppelstockzuges entstehende Rückstau an den Treppen zwischen den beiden Etagen wurde nicht eingeplant.
  • Die Ausstiegshöhe von den Zugtüren zu den Fluchtwegen beträgt über 90 cm, was für die meisten Menschen problematisch und für kleine Kinder, Ältere sowie Behinderte und Mobilitätseingeschränkte ohne fremde Hilfe unüberwindbar ist. Den Simulationen von Gruner wurde dennoch zugrunde gelegt, dass alle 1.757 Zuginsassen innerhalb von nur 2 Minuten über die im Zug mitgeführten Trittleitern aussteigen.
  • Bei der Simulation des Ausstiegs über Trittleitern wurde nicht berücksichtigt, dass die vier Zugbegleiter die in den Wagendecken eines ICE 3 verstauten Trittleitern erst hervorholen und dann im Gedränge der Wartenden an den weit entfernten Wagentüren anbringen müssen, bevor das Verlassen des Zugs überhaupt möglich ist.
  • Die von Gruner durchgeführte Simulation sieht den Ausstieg für alle 1.757 Insassen über Trittleitern an allen 16 Wagen vor. Dabei wurde jedoch nicht bedacht, dass ein ICE 3 insgesamt nur 4 solcher Trittleitern mit sich führt, nämlich nur im jeweils ersten und letzten Wagen eines Zugteils. Somit muss der Ausstieg aus allen übrigen Wagen ohne Zuhilfenahme von Trittleitern aus einer Höhe von über 90 cm erfolgen.
  • Soweit überhaupt Rettungsleitern rechtzeitig angebracht werden können, behindern diese die Flüchtenden aus den dahinter liegenden Zugabteilen. Dies gilt insbesondere für Behinderte mit Gehhilfen oder gar Rollstühlen. Denn die Leitern ragen in den Fluchtweg und verengen diesen zusätzlich.
  • Die Fluchtgeschwindigkeit vom Zug zum Querschlag wurde in der Simulation mit 1,34 m/sec, also 80,4 m/min, angesetzt, obwohl das Regelwerk NFPA 130 weniger als die Hälfte, nämlich nur 38 m/min vorsieht. Denn auf den engen Fluchtwegen von nur 120 cm Breite, die teilweise sogar bis auf ca. 60 cm verengt sind, bestimmen die Langsamsten das Tempo und können nicht überholt werden.
  • Auch der durch die engen Fluchtwege bewirkte Rückstau wurde nicht berücksichtigt. Nach den Richtlinien der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes
  • benötigen die 1.757 Personen bei einer Fluchtwegbreite von hindernisbedingt nicht einmal durchgehend vorhandenen 120 cm eine erhebliche zusätzliche Zeitspanne zum Passieren der Engstellen.
  • Obwohl selbst im günstigsten Fall bei einem mit 1.757 Personen voll besetzten Zug bei gleichmäßiger Aufteilung der Flüchtenden auf jeden Querschlag fast 900 Menschen durch jede der beiden Schleusen in die zweite Tunnelröhre fliehen müssen, wurden in der Folie 11 pro Schleuse nur mit 600 Personen gerechnet. Das Passieren der Schleusen dauert also selbst im günstigsten Fall 50 % länger als eingeplant. „In der Simulation wurden 800 Personen je Schleuse berücksichtigt; die übrigen ca. 160 Personen teilen sich annahmegemäß auf die jeweils 500 m entfernten Notausgänge auf, um längere Wartezeiten zu vermeiden“, wie es im Gruner-Bericht heißt. Damit wurden jedoch die Entfluchtungszeiten unzulässigerweise nach unten manipuliert.
  • Nicht berücksichtigt wurde, dass erst dann in die zweite Röhre gewechselt werden kann, wenn der Bahnverkehr in der zweiten Röhre eingestellt ist. Nach überschlägiger Analyse dauert es mindestens 7 bis 8 Minuten ab Eingang der Brandmeldung bei der Fahrdienstleitung, bis die rettende zweite Tunnelröhre leergefahren ist. Erst dann kann diese über die Rettungsschleuse betreten werden. Das ist unannehmbar lange. Sollte indessen die Lage des Brandes und die Rauchausbreitung das rasche Erreichen eines nähergelegenen Rettungsstollens erlauben, ergibt sich eine widersinnige Situation: Je näher die Rettungsschleuse liegt und je früher die ersten Flüchtenden dort eintreffen, desto mehr Flüchtende stauen sich wegen der noch nicht leergefahrenen Rettungsröhre vor dem noch verschlossenen Schleusenausgang. Die Folge ist wiederum Panik unter den Nachdrängenden.
  • Eben dieses durch die Rauchausbreitung hervorgerufene „Panikverhalten“ der Flüchtenden, insbesondere beim vorprogrammierten Stau, bleibt in den Simulationen gänzlich unberücksichtigt. Auch die Zeit bis zum Beginn der Fremdrettung ist unvertretbar lange.
  • Wie Feuerwehrchef Dr. Frank Knödler, Branddirektion Stuttgart, in seinem Brief vom 30.08.2019 (Anlage 10) zutreffend ausführt, muss im Brandfall erst die Parallelröhre der betroffenen Röhre freigefahren werden. Nur durch diese „Sichere Röhre“ können dann die Rettungskräfte die Nähe des Brandortes erreichen und ausschließlich in der Sicheren Röhre Maßnahmen der Fremdrettung ergreifen. „Bevor die parallele Röhre nicht freigefahren ist, kann auch kein Einsatz der Feuerwehr im Tunnel stattfinden, da ein Vorbeifahren der Feuerwehrfahrzeuge an einem Zug im Tunnel nicht möglich ist.“

Ferner müssen auch alle intakten Züge aus der Ereignisröhre ausfahren. Erst anschließend „wird die Oberleitung abgeschaltet und bahngeerdet“.

Dabei ist einzukalkulieren, dass die vollständige Räumung der Ereignisröhre nur über Rückwärtsfahrt der dem in Brand geratenen Zug nachfolgenden Züge erfolgen kann, was zu einer erheblichen Verzögerung beim Leerfahren führen wird.

Bei dem geplanten S-Bahn-artigen Zugverkehr im Fünfminutenabstand geht es um eine erhebliche Anzahl von Zügen, die zunächst aus beiden Röhren gefahren werden müssen.