(hier die Pressemitteilung als pdf-Datei)

Nach den Streckensperrungen Waiblingen-Bad Cannstatt ist während der Sperrung der Stammstrecke und vor den Sperrungen in Untertürkheim und anderswo

Zehntausenden Bahnnutzenden hat das Chaos der letzten Monate bei Bussen und Bahnen wertvolle Lebenszeit geraubt, besonders während der 11-wöchigen Vollsperrungen des Schienenverkehrs zwischen Waiblingen und Bad Cannstatt.

Was hier den Bürger*innen zugemutet wurde, zeigt das Ausmaß an Verantwortungslosigkeit der Zuständigen bei Bahn und in der Politik, so Bündnissprecher Dieter Reicherter und verweist dabei insbesondere auf den S21-Chef Olaf Drescher und auf Frank Nopper, der in seinen Funktionen als Stuttgarter Oberbürgermeister und als Aufsichtsratsvorsitzender der SSB sowie des VVS dem Wohl der Bürger*innen besonders verpflichtet sein sollte.

In einem von vielen alltäglichen Erfahrungen geprägten Resümee (Anlage) widerspricht das Aktionsbündnis den von interessierten Seiten vermittelten Schönfärbereien[1], was die Verlässlichkeit von Bussen und Bahnen nicht nur in den letzten Wochen und nicht nur bezüglich der bisher gesperrten Strecken betrifft. Nachdem die Störungen inzwischen auch auf den bislang verlässlich laufenden Betrieb der SSB übergegriffen haben, erinnert das Aktionsbündnis daran, dass das fehlgeplante Stuttgart21-Projekt Ursache der Miseren ist. Grund für die vergangenen und künftigen Streckensperrungen mit der Brechstange war die zwanghafte, aber unrealistische Vorstellung, Stuttgart21 müsse 2025 den Betrieb aufnehmen. Und die SSB wurde in Mitleidenschaft gezogen, weil sie von den ständig geänderten und zusätzlichen Anforderungen des S21-Projekts überfordert wurde.

Schon jetzt bewahrheitet sich die Prognose, dass Stuttgart21 die Verkehrswende rückwärts einleitet. Denn immer mehr Bahnnutzende sind gezwungen, wieder auf das Auto umzusteigen, weil viele sich die notorischen Unzuverlässigkeiten nicht mehr leisten können.

Allen Beschwörungen und Gesundbetereien zum Trotz werden die Probleme mit Bussen und Bahnen zur Dauerbegleitung von Stuttgart21 werden. Und Stuttgart21 wird nicht 2025 enden. Es soll allen klimapolitischen Warnungen zum Trotz ein neues Stadtviertel auf dem Bahngelände gebaut werden, es sollen weitere Tunnel und Ergänzungsprojekte realisiert werden, um den jetzt schon unübersehbaren Defiziten von S21 entgegenzuwirken – das alles mit einer Zeitperspektive in die 40-erJahre hinein.

Wer irgendwann mal wieder einen funktionsfähigen Bahnbetrieb und ÖPNV in Stuttgart und Region haben möchte, muss endlich Stuttgart21 auf den Prüfstand stellen und sich alternativen Überlegungen öffnen.

Kontakt:  Dieter Reicherter 07192 930522 oder 0151 263 711 31, Werner Sauerborn 0171 320 980 1
Anlage

[1] S. z.B. Interview mit S-Bahn-Chef Dirk Rothenstein in Stuttgarter Zeitung, 29.7.2023

Nach der ersten Runde Streckensperrungen: Rückblick und Ausblick

Bahnabschreckungsprogramm auf vollen Touren

Die viel zu kurzfristig angekündigte Sperrung der Bahnstrecke zwischen Waiblingen und Stuttgart-Bad Cannstatt sowie der S-Bahn-Linie 4 zwischen Backnang und Marbach seit 12. Mai 2023 ging ab 29. Juli 2023 nahtlos über in die alljährliche Sperrung der S-Bahn-Stammstrecke zwischen Stuttgart Hauptbahnhof und Stuttgart-Vaihingen. Gleichzeitig gibt es Sperrungen auf der Strecke nach Tübingen und auf der Gäubahn, weitere sich anschließende Sperrungen sind bereits angekündigt. Zeit für einen Rückblick auf 13 Jahre ständiger Verschlechterungen des Öffentlichen Personennahverkehrs. Zeit aber auch für einen Ausblick auf die Einschränkungen der nächsten 20 Jahre. Und höchste Zeit für die Klärung der Frage, was das alles mit Stuttgart21 zu tun hat und wer die Verantwortlichen sind.
Die vollständigen Sperrungen über 11 Wochen mit mehrfach geändertem Ersatzkonzept raubten täglich Zehntausenden, insbesondere Pendlerinnen und Pendlern, wertvolle Lebenszeit. Fahrten im Ersatzverkehr waren nicht planbar und führten zu Stress und Ärger. Hätte S21-Chef Olaf Drescher seine Hausaufgaben gemacht, wäre das vermeidbar gewesen. Doch die von ihm geleitete Bahntochter DB-PSU ist noch nicht einmal in der Lage, die Fahrgäste rechtzeitig und richtig über aktuelle Verbindungen zu informieren. Insbesondere versagen die Fahrplanauskünfte der Bahn und des Verkehrsverbundes Stuttgart, weil sie die aktuellen Störungen und Verspätungen sowie Ausfälle nicht zeitnah enthalten. Dies gilt genauso für Ansagen und Anzeigen an den Bahnsteigen und in den Zügen. Wer wie die DB-PSU nicht einmal für zutreffende digitale Fahrplanauskünfte sorgen kann, dem sollte auch nicht die Realisierung des hochkomplexen Vorhabens „Digitaler Bahnknoten Stuttgart“ zugetraut werden. Der entschuldigende Hinweis, man habe keine Blaupause, zeigt im Zeitalter Künstlicher Intelligenz, dass man die Planung nicht beherrscht.
Dazu passt, dass die DB-PSU noch nicht einmal über Simulationen zur Evakuierung von Menschen im Brandfall aus den S21-Tunneln verfügt. Selbst für den häufig eintretenden Fall, dass in der Mobilität behinderte Menschen aus einem liegengebliebenen Zug zu evakuieren sind, gibt es keine Simulationen. Die Verhandlung über die vom Aktionsbündnis unterstützte Klage gegen den mangelhaften Brandschutz bei S21 findet im November vor dem Verwaltungsgerichtshof in Mannheim statt.
Wie beim überstürzten und schlecht geplanten Einbau des ETCS-Systems die hohen Sicherheitsanforderungen an kritische Infrastruktur unter die Räder gekommen sind, zeigt beispielhaft ein in Sommerrain neben dem S-Bahn-Gleis in Richtung Bad Cannstatt offen in einem Kanal ohne Abdeckung verlegter Kabelstrang.


Photo: Ulli Fetzer, aufgenommen nach Fertigstellung der Bauarbeiten
Der vom Stuttgarter OB Nopper als leistungsstark gepriesene Busersatzverkehr verstopfte die Straßen zusätzlich und setzte Treibhausgase in großen Mengen frei. Insbesondere jedoch war ein nahtloser Umstieg zwischen den Ersatzbussen und den Zubringerzügen und S-Bahnen nicht gewährleistet. Am schlimmsten
betroffen waren die Menschen aus dem Rems-Murr-Kreis. Denn die Umleitung von Regionalzügen der Murrbahn von Backnang über Marbach nach Stuttgart erwies sich als grandiose Pleite.
Die S21-Planer*innen haben es geschafft, durch Umleitungsverkehr nach der Panoramastrecke auch noch die Strecke zwischen Backnang und Marbach zu ruinieren und den Fahrplan von Stuttgart bis Nürnberg durcheinander zu bringen. Zur Vermeidung einer Vollsperrung kann die Strecke auf über 5 Kilometern nur noch mit 40 km/h befahren werden. Zuletzt waren dort Verspätungen von 20 Minuten und mehr die Regel. Nach Wiederaufnahme des Betriebes der S4 bringt die Langsamfahrstrecke nun den S-Bahn-Verkehr durcheinander. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann die Strecke Backnang-Marbach vollständig gesperrt werden muss. Die Sperrungen und Umleitungen haben überdies deutschlandweite Auswirkungen auf den Bahnverkehr, weil viele Fernzüge den Hauptbahnhof Stuttgart gar nicht mehr anfahren können.
Mit ihrem Versuch, die Streckensperrungen durch Verstärkerzüge der Stadtbahnen aufzufangen, sind die wegen ihrer Zuverlässigkeit geschätzten Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) mittlerweile selbst aus dem Takt geraten. Mit dem vorhandenen Personalstand und begrenzt verfügbaren Bussen und Bahnen ließen und lassen sich die ständigen zusätzlichen und schnell wechselnden Anforderungen des Einspringens zugunsten des S21-Baus nicht bewältigen. Ausfälle und Verspätungen sind zur Regel geworden. OB Frank Nopper hat dies als S21- Projektförderer und Aufsichtsratsvorsitzender der SSB mit zu verantworten. Als Aufsichtsratsvorsitzender des VVS trägt er auch Verantwortung für dessen Fahrplanauskünfte, die aktuelle Informationen nicht rechtzeitig wiedergeben und die Nutzer:innen verzweifeln lassen. Das angerichtete Bahnchaos geht insbesondere zulasten von Gruppen, die auf zuverlässige Busse und Bahnen im Nah- und Fernverkehr angewiesen sind, wie z.B. mobilitätseingeschränkte Menschen, besonders Rollstuhlfahrer*innen. Auch Radler*innen werden vergrault, wenn ihnen die Mitfahrt in Regionalzügen und S-Bahnen verweigert wird und sie in Schienenersatzbussen grundsätzlich nicht mitgenommen werden.
Doch die Verantwortlichen der Landeshauptstadt Stuttgart stehen weiter in Vasallentreue zum S21-Projekt und reden die Einschränkungen schön. Die Stadt hat sich auf Gedeih und Verderb der Bahn ausgeliefert, obwohl diese sie auf Nachzahlung von mindestens 800 Millionen Euro für die explodierenden Kosten von Stuttgart21 verklagt hat. Noch immer träumt die Stadt, sie könne auf freiwerdenden Gleisflächen den neuen Stadtteil Rosenstein bauen. Dabei verdrängt sie vollständig die verheerenden Auswirkungen auf das Stadtklima, insbesondere durch Bodenversiegelung, weiteres Aufheizen des Talkessels und Verhinderung des Luftaustausches. Der geplanten Bebauung stehen nicht nur die Klimaschutzgesetze entgegen. Wenn es mit juristisch rechten Dingen zugeht, wird die vorgesehene Inbetriebnahme von Stuttgart21 scheitern und die zur Bebauung vorgesehene Fläche gar nicht frei werden. Zudem steht noch infrage, ob die bestehenden Gleise überhaupt entwidmet werden dürfen. Vielmehr müssen die Kopfbahnhofgleise erhalten werden und eine Bebauung muss unterbleiben.
Bündnissprecher Dieter Reicherter hat sowohl Olaf Drescher als auch OB Frank Nopper mehrfach auf die Probleme der Sperrungen und des Ersatzverkehrs hingewiesen und um ein persönliches Gespräch gebeten. Diese Bitte und sein Vorschlag, bei einer gemeinsamen Fahrt den Ersatzverkehr auszuprobieren, wurden nicht einmal beantwortet.
Statt aus Fehlern zu lernen, hat die Bahn jetzt schon bis zur Inbetriebnahme von Stuttgart 21 zahlreiche weitere Sperrungen angekündigt. Unmittelbar nach der Stammstreckensperrung soll es in Bad Cannstatt, Untertürkheim, Münster, Feuerbach und Zuffenhausen weitergehen, danach im Bereich Vaihingen, Flughafen und Böblingen. Doch damit nicht genug: Die Behinderungen werden sich mit der angekündigten Abkoppelung der Panoramastrecke, dem Bau eines Nordhalts sowie der Ergänzungsprojekte zu Stuttgart 21 (allein 47 km weitere Tunnelröhren, darunter der längste Eisenbahntunnel Deutschlands) für Jahrzehnte fortsetzen. Überdies sollen die Regionalzüge dauerhaft vom geplanten Tiefbahnhof ferngehalten werden und nur noch Regionalbahnhöfe in Vaihingen, Feuerbach und Cannstatt anfahren. Zu befürchten ist, dass Stuttgart nie mehr einen funktionierenden Großstadtbahnhof haben wird.
Wer jetzt immer noch den Verheißungen glaubt, man habe alles im Griff und alles werde gut, der hat aus der Geschichte des Projekts nichts gelernt. Vor Beginn der Bauarbeiten für Stuttgart 21 wurde das Märchen verbreitet, weil es um unterirdische Arbeiten gehe, seien diese nicht zu bemerken. Lastwagenkolonnen im Nordbahnhofviertel und Sprengungen in den Neckarvororten bewiesen alsbald das Gegenteil. Als weitere
Folge ging es mit der Pünktlichkeit der S-Bahnen immer weiter bergab. Sogar der 15-Minuten-Takt wurde inzwischen bei mehreren Linien wieder aufgegeben. Offenbar haben die Verantwortlichen noch immer nicht realisiert, dass Stuttgart 21 auf marode Zulaufstrecken aufgesetzt werden soll. So warten die international wichtige Gäubahnstrecke und die überregional bedeutsame Murrbahnstrecke schon seit Jahrzehnten auf einen zweigleisigen Ausbau.
Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 befürchtet deshalb, dass die für weitere Jahrzehnte zu erwartenden Einschränkungen die Menschen vom ÖPNV abschrecken, zur Nutzung des Autos nötigen und das Erreichen der Klimaziele vereiteln werden. Es fordert deswegen die Projektverantwortlichen auf, mit Verkehrsverbänden und Betroffenen gemeinsam bei einem Runden Tisch Wege aus der Sackgasse zu suchen. Das Aktionsbündnis schlägt dazu vor, gemäß seinem Konzept „Umstieg21 Plus“ die bereits gebauten Tunnelröhren für ein klimafreundliches unterirdisches Gütertransportsystem zu nutzen und die vorhandenen Schienenstrecken unter rollendem Rad zu ertüchtigen.
Kontakt: Dieter Reicherter 07192 930522 oder 0151 26371131