Liebe Freundinnen und Freunde,

das kennen wir doch: jeder echte oder scheinbare Baufortschritt wird von den S21-Freunden in Politik und Leitmedien als die finale Niederlage der Bürgerbewegung inszeniert. Beginnend mit der legendären Prellbockanhebung im Februar 2010 bis in diese Woche mit Tunneltaufe und dem Startsignal für die Bahnhofsbaugrube. Die Botschaft immer gleich: Jetzt müsst Ihr es doch endlich einsehen, ihr habt verloren, Kretschmann mit seiner Herrenknechtkumpanei und Kuhn mit seiner Teilnahme an der Tunneltaufe haben es doch auch begriffen. „Die Schlachten um das Ob des Bahnhofsumbaus sind geschlagen“, wer jetzt nicht klein beigibt ist ein „fanatischer“ „Scharfmacher“ und  hat „einen verengten Tunnelblick“, so Christian Milankovic im StZ-Kommentar am Mittwoch (9.Juli).

Auch wenn die schlechten Absichten hier schnell durchschaut sind, kann die Bürgerbewegung es damit nicht bewenden lassen und zur Tagesordnung ihres Widerstands übergehen. Zu wirkungsmächtig sind die Realitäten des Baufortschritts als dass sie nur als Propagandaschau abgetan werden könnten. Viele BürgerInnen resignieren, sind bereit das scheinheilige Friedensangebot à la StZ anzunehmen. S21 ist verhasster denn je, selbst Befürworter sehen es als Skandalprojekt, dass man besser nicht begonnen hätte – aber die Mächtigen sind halt mächtiger. Auf die 1 Mio-Dollar-Frage, ob S21 noch zu verhindern ist, ob jetzt ein point of no return erreicht ist und ob Widerstand noch sinnvoll ist, gibt es zwei Antworten.

  • In einer rationalen politisch-ökonomischen Betrachtungsweise gibt es bei einem irrationalen, unwirtschaftlichen Projekt wie S21 bis zu dessen Fertigstellung keinen point of no return. Die bisherigen Aufwendungen oder Ausstiegskosten sind kein Argument, weiter zu machen, getreu dem Motto: weiter auf dem Holzweg, weil wir ja schon so weit darauf gegangen sind. Ökonomen beschreiben das cooler so: Da versunkene Kosten (sunk costs) unabhängig davon bestehen, welche Option ein Entscheidungsträger wählt, dürfen sie bei einer rationalen Entscheidung zwischen Handlungsalternativen keine Berücksichtigung finden und stellen somit entscheidungsirrelevante Kosten dar.“ http://de.wikipedia.org/wiki/Sunk_costs.
  • Eine realpolitische Betrachtung kann jedoch die materiell und moralisch verheerenden Wirkungen des Baugeschehens nicht ignorieren. Die Protestbewegung ist trotz aller Bauerei wegen ihrer weiter richtigen Argumenten weiter wichtig und berechtigt, ja nötig, egal wie optimistisch oder pessimistisch man die Lage sieht. Und sie wird, in welcher Form auch, immer weiter gehen, denn dieses Projekt ist noch lange nicht durch und die Strukturen, die es möglich gemacht haben und künstlich am Leben erhalten, sind noch lange nicht frei gelegt, geschweige denn stillgelegt.

Der Widerstand wird aber nur eine Perspektive haben, wenn er gemeinsam und solidarisch eine rationale Haltung zu dem Baufortschritt entwickelt, ihn ins politische Kalkül zieht, ihn nicht ignoriert, sondern quasi mit ihm leben lernt. Wie geht Widerstand in den Zeiten von Pest und Cholera?

Gruß von Werner