Liebe Freundinnen und Freunde,

„Sind Sie für oder gegen Stuttgart 21?“ – diese in online-Umfragen und von Meinungsforschern häufig gestellte Frage, soll Antwort geben auf die Legitimation des Projekts und die jeweilige Erfolgs-/Misserfolgsbilanz von BefürworterInnen und GegnerInnen ermitteln. Dabei ist sie falsch gestellt. Sie enthält nämlich zwei Fragen, die ganz unterschiedlich beantwortbar sind: Zum einen die Frage „Sind Sie für oder gegen Stuttgart 21 an sich?“ und zum anderen die Frage: „ Sind Sie heute für oder gegen Stuttgart 21?“, also auch angesichts des unverkennbaren Baugeschehens – um es nicht Baufortschritt zu nennen.

Die Antwort auf die erste Frage dürfte ziemlich eindeutig ausfallen. Kaum jemand steht angesichts der täglichen Hiobsmeldungen noch in der Sache zu dem Projekt. Selbst Grube meinte schon vor zwei Jahren, man hätte das Projekt nie begonnen, wenn man damals gewusst hätte, was daraus wird. Befürworter argumentieren längst nicht mehr mit dem Projekt, sie weichen den Argumenten aus, erklären die inhaltliche Debatte für beendet durch die Volksabstimmung. Verdrängen einfach gemacht. Dieser inhaltliche Totalschaden des Projekts ist das gar nicht hoch genug einzuschätzende Verdienst der S21- GegnerInnen. Durch ihr unermüdliches Aufdecken der Schwachstellen und Widersprüche und durch deren Politisierung in der Öffentlichkeit (von Montagsdemos, Mahnwache, Bürgerbegehren, Pressearbeit, juristische Attacken, …) ist das Projekt zutiefst diskreditiert.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die zweite Frage, ob man heute für oder gegen S21 ist, d.h. einen Ausstieg befürwortet, mit ziemlicher Sicherheit mehrheitlich verneint würde – und das gerade nicht, weil das Projekt inzwischen positiv gesehen würde, sondern aus einem Gefühl der Ohnmacht heraus angesichts des Faktenschaffens der DB: „Die machen sowieso, was sie wollen!“. Wer am Ziel des Ausstiegs festhält, wird teils bewundert, weil er ja eigentlich recht hat, und teils dafür noch angegangen, dass er sich nicht wie der Mainstream den machtpolitischen Realitäten unterwirft.

Für die Demokratie bedeutet eine derartig paradoxe Zwischenbilanz fünf Jahre nach dem sogenannten Baubeginn nichts Gutes. Dass ein tief in die Stadt eingreifendes Projekt, das als unsinnig erkannt wird, dennoch einfach durchgedrückt wird, produziert unmittelbar Politikverdrossenheit und immer geringere Wahlbeteiligungen. Gerade die SPD, die jetzt mit Wahlmöglichkeiten in Supermärkten oder längeren Öffnungszeiten der Wahlbüros an Symptomen herumkurieren will, ist mit ihrem Agieren bei S21 unmittelbar verantwortlich für den Glaubwürdigkeitsverlust der Demokratie.

Die paradoxe Zwischenbilanz sollte auch Grundlage der wieder stärker geführten Strategiediskussionen in einer Bürgerbewegung sein, die weiter klipp und klar den Ausstieg aus S21 will. Wie gelingt es, aus der Ablehnung des Projekts wieder eine Mehrheit für einen Ausstieg zu machen? Maßgeblich für die Option Ausstieg sind verschiede Umstände und Bedingungen, auf die die Bürgerbewegung nur zum Teil Einfluss nehmen kann:

  • Die politischen Grenzen des Projekts: „Rendevouz mit der Realität“ hat Schäuble dies (allerdings in einem falschen Zusammenhang) genannt. D.h. irgendwann wird die Kostenlüge real, spätestens wenn gezahlt werden muss. Irgendwann, wird die Leistungslüge real, spätestens wenn S21 gebaut wäre, aber die Kapazität nicht reicht und der Kopfbahnhof in Betrieb bleiben muss. Irgendwann wird die (eng mit der Kostenfrage verbundene) Zeitlüge platzen – und nicht erst 2021.
  • Die technischen Grenzen des Projekts: Tunnel können einbrechen, Bohrmaschinen stecken bleiben, Hänge ins Rutschen kommen, Mineralquellen aufbrechen, Verkehrskollaps und Unfälle, hoffentlich ohne menschliche Opfer, können das Projekt ins Schlingern bringen. Technisch-ökonomisch: Baufirmen können pleitegehen. Für viele ist S21 sowieso der letzte Rettungsanker.
  • Viele juristische Hürden stehen einer Realisierung von S21 noch im Wege (einige s.u.). Sehr fraglich, ob sich die Justiz weiter vor den grundsätzlichen Fragen des Projekts drücken kann.
  • Die Bürgerbewegung muss dran bleiben. Sie muss lernen, auch in der Defensive zu kämpfen, sie zu überdauern, sich nicht von jedem sogenannten Baufortschritt ins Bockshorn jagen lassen. Sie muss ihre Institutionen und ihre finanzielle Basis erhalten, Diskussionen, auch selbstkritische, solidarisch austragen.
  • Und die Bürgerbewegung muss ihre alte Tugend aktivieren, konstruktiv zu sein, die bessere Alternative zu haben. Das heißt gerade heute zu zeigen, dass der Ausstieg nicht nur notwendig und sinnvoll ist, sondern auch, dass er möglich Wer aus dem Frust über S21 eine Mehrheit für den Ausstieg bzw. Umstieg machen will, muss ihn vorstellbar machen, muss in Entwürfen, Skizzen, Bildern, Videos zeigen, dass eine Alternative machbar ist.

Anhörung zum Brandschutzkonzept wohl am 3. März

Was nicht sein darf, das nicht sein kann. Nach dieser Devise scheint die DB sich beim Thema Brandschutz durchmogeln zu wollen. Offensichtlich auf der Basis der runtermanipulierten Zahlen zu den Personenströmen im Tiefbahnhof  hat sie das O.K. der städtischen Feuerwehr zu ihrem Brandschutzkonzept erhalten. Vermutlich am 3. März vormittags soll die DB auf Antrag der Grünen ihre Lösung im Umwelt- und Technikausschuss vorstellen. www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.stuttgart-21-bahn-stellt-anfang-maerz-brandschutz-vor.4a7e685f-2418-4781-a2f3-e247838f1347.html..

Die Bürgerbewegung stellt sich auf den Termin ein, ihre Fachleute sind hellwach. Man darf gespannt sein.

Bundespolizei ermittelt zu S-Bahn-Oberleitungsunfall 

Noch zu früh ist es, aus dem S-Bahn Unfall, bei dem eine Starkstromoberleitung auf eine S-Bahn niedergekracht war, Schlüsse zu ziehen. /www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.s-bahn-chaos-in-stuttgart-bundespolizei-ermittelt-zur-ursache.fe17b15c-25b0-4031-839d-c82417719ed2.html

Die holprige Evakuierung der Fahrgäste aus dem Tunnel wirft jedoch schon jetzt ein Schlaglicht auf die Fähigkeit der DB, auf solche Unfälle angemessen zu reagieren. Und sie ist ein Argument mehr für die Devise: Soviel Tunnel wie nötig und so wenig wie möglich!

Neues von der Zeitlüge

Herrenknechts Bohrmaschiene für den Fildertunnel, „Suse“, nach den ersten Pannen und Verzögerungen „Transuse“ genannt, hat noch Geschwister: Auch Transuse’s Schwester am Aichelberg kommt nicht in die Pötte. Auch sie muss noch „feinjustiert“ werden: www.swp.de/goeppingen/lokales/landkreis_gp/Tunnelbohrmaschine-bei-Aichelberg-braucht-Feinjustierung;art1210078,3055510

Stand der Bürgerbegehren 2, 3 und 4

Im Dezember letzten Jahres haben Peter Conradi, Egon Hopfenzitz und Eisenhart von Loeper dem OB in einer Pressekonferenz das dritte Bürgerbegehren zu S21 mit über 20 000 Unterschriften übergeben, die einen Bürgerentscheid über die Kündigung des Finanzierungsvertrags wegen Sprengung des Kostenrahmens verlangen. Dies wurde verbunden mit der Forderung an den OB, Klarheit über die Faktenlage zu schaffen, damit die BürgerInnen auf der Basis transparenter Fakten entscheiden können und nicht, wie beim Volksentscheid der Manipulation Tür und Tor geöffnet sind.

Seither prüft das Rechtsamt der Stadt die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.stuttgart-21-buergerbegehren-fuer-ausstieg-weiter-in-pruefung.cbd0139d-dd7c-4adf-b18e-cba87a36c0b3.html  und hat inzwischen dazu RA Christian Kirchberg, den OB Schuster weiland als Anwalt der Stadt zur Abwimmelung des 2. Bürgerbegehrens (zur Mischfinanzierung)  eingeschaltet hatte, als externen Gutachter eingeschaltet. Die Berufungsverhandlung zu diesem 2. BB wird übrigens Mitte April vor dem VGH in Mannheim stattfinden. Vertrauensleute hier: Sigrid Klausmann-Sittler, Bernhard Ludwig und Axel Wieland.

Inzwischen läuft auch das 4. Bürgerbegehren, bei dem es auch um die Kündigung des Finanzierungsvertrags geht, hier aber begründet mit der Leistungslüge, also mit der gebrochenen Zusage einer höheren Leistungsfähigkeit von S21.

Das Statistische Amt der Stadt hat inzwischen 19.696 gültige Unterschriften gezählt. Weitere wurden inzwischen gesammelt, maßgeblich von einer Gruppe aktiver Ings22. 

Klage der Stuttgarter Netz AG (private Eisenbahngesellschaften)

Die SNAG klagt gegen das EBA wegen Entwidmung des Gleisvorfelds. Vermutlich am 26. März wird es hier zu einem ersten gerichtlichen Schlagabtausch vor dem VG Stuttgart kommen.

Rostrohre: Bahn schummelt, EBA deckt
Heydemann: Blaue Rohre ersetzen!

Zwischen der Stadt Stuttgart und dem EBA ist es zu einem Dissens gekommen hinsichtlich der Seriosität der Prüfung des wieder eingeleiteten Wassers. Seit langem verweisen die Ing 22 auf den viel zu hohen Rostgehalt des Infiltrationswassers und haben entsprechend Strafanzeige gestellt. Während die Ja-Sager vom EBA der DB mal wieder einen Persilschein ausstellen, bezweifelt das städtische Umweltamt die mangelhafte Prüfmethode. Dazu:
www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.grundwassermanagement-gegner-sehen-sich-bestaetigt.1f707d15-4910-4276-9815-5171f3495cf8.html
Und: Bericht von Hans Heydemann (Kurz- und Langfassung in der Anlage)

Quintessenz von Hans Heydemann: Das Einleiten rosthaltigen Wassers in den Untergrund des Stuttgarter Heilquellen-Schutzgebietes kann zuverlässig nur dadurch verhindert werden, indem Rohre aus korrosionsbeständigen Werkstoffen, z.B. HD-PE, wie von der Vorhabensträgerin im Antrag auf Genehmigung der 7. PÄ in Abschnitt 3.2 angegeben, verwendet werden. Deshalb muss die Vorhabensträgerin die Rohrleitungen aus ungeschütztem Stahl gegen solche mit innerem Korrosionsschutz ersetzen, bevor das GWM in Betrieb geht.

Bucherscheinung:
Der Schwarze Donnerstag: Unerhört. Ungeklärt. Ungesühnt.

Jürgen Bartle und Dieter Reicherter haben 2014 für die ‚Kontext:Wochenzeitung‘ sieben Monate lang, beinah Woche für Woche, über den Wasserwerferprozess am Stuttgarter Landgericht berichtet. In ihrem Buch bieten sie Gerichtsberichterstattung vom Feinsten und Journalismus, wie er selten geworden ist: gründlich, hintergründig, gut geschrieben. Und spannender als mancher Krimi.

Erschienen im Selbstverlag. Vorwort von Wolfgang Schorlau. 240 Seiten, broschiert, reich bebildert für 19,80 Euro erhältlich. Finanziert durch Crowdfunding, bei dem innerhalb von vier Wochen über 14.000 Euro zusammenkamen. Aus diesen Einnahmen haben die Autoren dem ‚Rechtshilfefonds Kritisches Stuttgart‘ bereits 2.208 Euro zukommen lassen.

Erhältlich seit Samstag, 21.2.2015 exklusiv in allen Filialen von Osiander und auf www.osiander.de: Kostenlose Zustellung bundesweit, in Stuttgart und einigen anderen Städten – umweltfreundlich per Fahrradkurie. Gegen Spende auch  an der Mahnwache erhältlich.

Viele Grüße, Werner