Stuttgart 21 ist tot!
Kein Brandschutz in den Tunneln, Aberhunderte Tote zu befürchten
und von den Verantwortlichen nur verstörendes Schweigen!

(hier als pdf-Datei)

Liebe Mitstreiterinnen, liebe Mitstreiter!

Den Titel dieser Rede habt Ihr gehört, zunächst kurz ein anderes hochaktuelles Thema: Angesichts der Überflutungen der letzten Wochen und den aktuellen Vorhersagen ist es angebracht, auch über das Überflutungsrisiko durch den Bau des Stuttgart-21-Tiefbahnhofs zu reden. Ihr wisst, das Bahnhofsdach staut den oberflächlichen Abfluss einer hundertjährlichen Sturzflut so weit auf, dass über die Klettpassage die U- und S-Bahn geflutet werden und hunderte Menschen ertrinken könnten. Ihr wisst auch, der Tiefbahnhof soll bei einem zweihundertjährlichen Grundwasser-Hochstand planmäßig geflutet werden, dann laufen der südliche Bahnhofskopf und die Tunnel nach Unter- und Obertürkheim voll. In beiden Fällen müssen die Verkehrsanlagen danach über Monate wieder instandgesetzt werden.

Und jetzt das Neueste: Der offiziell vom Landes-Umweltministerium ermittelte Klimawandelfaktor sagt uns voraus, dass mit diesen Ereignissen siebenmal häufiger zu rechnen ist, als nur einmal in hundert oder zweihundert Jahren!

Das Eisenbahnbundesamt (EBA) hatte außerdem in der Baugenehmigung verfügt, dass mobile Verbauungen die Flutung der Klettpassage sichern sollten. Jetzt ist zwar das Dach des Tiefbahnhofs schon betoniert, aber nichts für den mobilen Hochwasserschutz vorbereitet. Man müsste U- und S-Bahn bei jeder Vorhersage von ergiebigen Gewittern sperren. Ich kann nur raten, meidet dann den Stuttgarter Untergrund! Aber dazu ein andermal mehr – demnächst in diesem Theater!

Doch jetzt zum Brandschutz in den Tunneln: Stuttgart 21 ist tot! Wir haben das schon oft gedacht. Aber nicht die fehlende Leistungsfähigkeit, nicht das fehlende Geld, nicht der fehlende Platz auf den Bahn-steigen, nicht die unverantwortbare Gleisneigung oder das Überflutungsrisiko, nicht die unmögliche Evakuierung im Tiefbahnhof vermochten das Projekt zu stoppen – jetzt ist es aber wirklich der Tunnel-Brandschutz! – Da lehne ich mich mal aus dem Fenster.

Wir stehen vor der größten Bauruine der Weltgeschichte, wir stehen vor dem größten Ansehensverlust Deutschlands als ehemaliger Ingenieursnation, wir stehen vor dem Bankrott unseres demokratischen Systems, in dem alle Kontrollen, in dem Behörden und Gerichte versagten und selbst die Medien nicht eine Beantwortung der seit Jahrzehnten offenen Fragen des Projekts bewirken konnten oder wollten. Wir sind an einem echten Tiefpunkt unserer neueren Geschichte angekommen. Der fehlende Tunnelbrandschutz ist das Ende von S21. Es geht um Leib und Leben der Menschen, und die Tunnel lassen sich nicht mehr nachbessern. Das hat der Bahnanwalt letzten Herbst vor dem Verwaltungsgerichtshof klipp und klar dargelegt. Aus statischen Gründen sind keine zusätzlichen Querschläge möglich, damit ist der Weg zu den Fluchttüren zu weit, der Rauch kommt zu schnell, egal welchen Zugtyp wir ansetzen.

Aber der Reihe nach: Vor dem VGH wurde letzten Herbst nach Jahren endlich zum fehlenden Tunnelbrandschutz getagt, aber der wurde in der Sache gar nicht verhandelt. Das Gericht sprach den Klägern vorher die Klagebefugnis ab. Der Schutzgemeinschaft Filder, die als Umweltverband eigentlich klagebefugt ist, wurde ihre Satzung zu ihren Ungunsten ausgelegt, und individuelle Kläger haben kein Klagerecht. Wir Bahnfahrer können das EBA nicht verklagen, wenn es den Brandschutz nicht hinreichend prüft, eben weil das EBA gesetzlich verpflichtet ist, den Brandschutz zu prüfen! Ja, das klingt paradox, aber das ist so! Der Gesetzgeber hat dem EBA hier die „License to kill“ erteilt.

Ein neues Verfahren, etwa mit einem überregionalen Umweltverband als Kläger, würde Jahre brauchen. Deshalb gehen wir nun wieder an die Öffentlichkeit! Mario Barth hatte das Thema – neben der Überflutungsgefahr – im April gebracht. Zwei Tage später stellten wir das ganze Ausmaß des Problems in einer Pressekonferenz dar.

In Kürze: Die S21-Tunnel wurden wegen des quellenden Anhydrits mit besonders dicken Tunnelwänden ausgeführt. Aus Kostengründen hat man dafür den Innenquerschnitt drastisch verengt. Der Rauch breitet sich hier rund doppelt so schnell aus, wie von der Bahn angesetzt. Es ist nur noch Platz für Rettungswege mit der halben Breite wie üblich.

Gleichzeitig plante man schon zur Planfeststellung doppelt so viele Personen in den Zügen wie anderswo, und mit den zur Inbetriebnahme neu angeschafften Regionalverkehrszügen mittelfristig sogar viermal so viele. Insgesamt erhöht sich das Risiko dann um den Faktor 16 gegenüber vergleichbaren Tunneln. Nicht um 16 Prozent, worüber wir schon streiten könnten. Nein, um den Faktor 16. Was hier geplant wurde, ist weit jenseits von Gut und Böse!

Die Bahn antwortete auf unsere Pressekonferenz, sie hätte ein Brandschutzkonzept, das „von der Art der eingesetzten Züge unabhängig“ sei. Das wäre allerdings ein Wunder der Technik, es wäre egal, ob 10 oder 3.700 Personen zu evakuieren sind! Wir fragten in einem offenen Brief nach den Belegen dazu wie auch zu sechs weiteren Schlüsselfragen.

Frühere offene Briefe hatte die PSU noch beantwortet. Aber dieses Mal duckte sich die Bahn weg. Das Chefsekretariat war tagelang telefonisch nicht erreichbar, Rückrufe erfolgten nie, ein schon zugesagter Telefontermin wurde ersatzlos abgesagt, die angekündigte Info, wie es weiter geht, kam nie, sämtliche Emails und Einschreiben wurden nicht beantwortet. Das ist unwürdig! Unwürdig eines großen Konzerns, unwürdig der Gefahr für Leib und Leben der Reisenden. Man kann sich doch nicht einfach wie ein ertappter Pennäler wegdrehen und verstummen.

Daraufhin wandten wir uns an das EBA und forderten einen Baustopp oder aber eine befriedigende Antwort auf die sieben Schlüsselfragen. Wir bestanden auf Antworten im Einzelnen und verwahrten uns gegen eine allgemeine Entgegnung. Es kam dann wie üblich nur genau das. Keine einzelne Frage wurde adressiert. So bleibt unklar, wie das „Universalbrandschutzkonzept“ der Bahn funktionieren soll. Unklar bleibt, wie die „Selbstrettung gewährleistet“ wird, wie von der EBA-Tunnelrichtlinie in Abschnitt 1.3 gefordert. Unklar bleibt, wie die selbst laut Bahn und EBA nötige Dimensionierung der Rettungswege und der Querschlagabstände erfolgte. Der schwere Mangel, dass die Evakuierungszeiten nach den Erfahrungswerten Faktoren über der Verrauchungszeit liegen, bleibt unaufgelöst.

Unbeantwortet blieb auch die folgende Frage: Wenn aus einem vollbesetzten Doppelstockwaggon – und das muss im Brandschutz angesetzt werden – die Menschen auf den 1,20 Meter breiten Rettungsweg aussteigen, dann kommen 7 bis 8 Personen auf einen Quadratmeter. Zum Vergleich: Die tödliche Personendichte der Loveparade in Duisburg betrug 6 Personen pro Quadratmeter. Dazu haben wir hier einen praktischen Test vorbereitet: Ein Kreidekästchen von einem mal einem Meter. Wir haben vorher 8 Freiwillige angesprochen, die versuchen, sich innerhalb des Kästchens aufzustellen.

Darf ich bitten? Vielleicht erst mal 4 Personen … dann Nummer 5.

Sehr gut, jetzt noch die sechste, das ist schon die kritische Loveparade-Dichte, die zu der tödlichen Panik führte. Ok. Jetzt noch Nummer 7 und eigentlich noch die Nummer 8.

Zum Glück haben wir hier keine feste Begrenzung, keinen Zug auf der einen Seite und auf der anderen einen Handlauf, auf den die Menschen gedrückt werden. Wir sehen, das geht nie und nimmer. Nicht wenn Hunderte vor und hinter einem sind, und auch noch Rauch und Feuer. Dieses Problem haben wir übrigens schon bei kurzen Doppelstock-Zügen.

Hier sehen wir auch gut, wie gründlich Bahn und EBA den Brandschutz geprüft hatten. Das EBA beschied, die 1,20 m engen Rettungswege seien kein Problem, da die Bahn glaubhaft dargestellt hätte, dass die Menschen selbst diesen Platz nicht bräuchten, weil sie ohnehin nur hintereinander her gehen.

Und noch eine Frage blieb unbeantwortet: Die Bahn sagte zum Frankfurter Fernbahntunnel, dass engere Tunnelquerschnitte schneller verrauchen. Sie rechnet für einen großen Doppelgleistunnel mit 15 Minuten Verrauchungszeit. In den S21-Tunneln ist ein Drittel so viel Platz für den Rauch, und es sollen aber immer noch 15 Minuten Zeit sein für die Evakuierung?

Wir sehen wie katastrophal es um den Tunnelbrandschutz steht!

Herr EBA-Präsident Dernbach: Es kann nie einen funktionierenden Brandschutz in diesen Tunneln geben. Übernehmen Sie Verantwortung für Leib und Leben der zukünftigen Reisenden! Ich bitte Sie in Ihrem eigenem Interesse, befassen Sie sich einmal mit dem Thema Amtshaftung. Übertreiben Sie es nicht mit Ihrer License to kill. Wollen Sie denn, dass einmal der erstickte Atem von möglicherweise tausenden Personen an ihrem Namen hängt?

Morgen trifft sich der Stuttgart-21-Lenkungskreis. Wir haben die Teilnehmer über den fehlenden Brandschutz und die fehlenden Antworten dazu informiert. Ich sage hiermit den Verantwortlichen: Projektchef Drescher, Ministerpräsident Kretschmann, Landesverkehrsminister Hermann, Oberbürgermeister Nopper, Regionalchef Bopp, Flughafenchef Poralla – stellen Sie sich der Tatsache, dass Stuttgart 21 tot ist. Es kann keinen funktionierenden Brandschutz in diesen Tunneln geben! Niemand kann die sieben Kernfragen entkräften! Übernehmen Sie Verantwortung für die Gesundheit der Bahnfahrer und für die verkehrliche Zukunft des Landes, für das Ansehen des Standorts Deutschland: Stoppen Sie die Verschwendung von Millionen für den Weiterbau und von Milliarden für die Erweiterungsbauten zu dieser größten Bauruine aller Zeiten!

Liebe Mitstreiter, voraussichtlich werden wir auch morgen wieder ein kollektives Kopf-in-den-Sand-Stecken sehen. Das Thema wird wohl wieder nach Kräften übergangen. Wie ich schon mehrfach hinwies, will man sich in Stuttgart offenbar ein Denkmal setzen als Schilda der Neuzeit. Und bei den Tunneln helfen jetzt wirklich nur noch die Schildbürger weiter: Lasst die Stuttgart-21-Befürworter zusammenkommen und den noch fehlenden Brandschutz einfach mit Säcken in die Tunnel tragen!

Menschen im Südwesten Deutschlands, steht auf! Oder wollt ihr zu hunderten in fehlgeplanten Bahntunneln ersticken? Steht auf und fordert den Schutz von eurem Leib und Leben! – Danke.