Zum Tod von Dr. Winfried Wolf
Winnie wird dauerhaft fehlen – und dauerhaft präsent sein
Wir wussten es ja seit Frühjahr 2021, dass Winfried Wolf, den alle nur Winnie nannten, lebensgefährlich erkrankt war und um sein Leben kämpfen musste. Dass es nun aber wirklich so ist, dass er uns für immer verlassen hat, lähmt uns alle und macht uns tieftraurig.
Wir vermögen uns noch gar nicht vorzustellen, wie der Widerstand gegen Stuttgart 21 ohne ihn gehen soll. War Winnie doch von Anfang an der kritische, analytische Geist, der die Ursachen und die Gefahren dieses Skandalprojekts mit einer Klarheit erkannte, die noch heute staunen lässt. Und stammte doch das erste überhaupt über S21 geschriebene Buch – „Hauptbahnhof im Untergrund“ – von ihm und zwar bereits aus dem Jahr 1995, nur ein Jahr nach der ersten öffentlichen Vorstellung des Projekts.
Seitdem hat Winnie sage und schreibe 43-mal auf den bis heute 660 Montagsdemonstrationen gesprochen. Dabei hat er nicht nur zahllose technische Details wie die 6-fach überhöhte Gleisneigung, den mindestens 30-prozentigen Kapazitätsabbau oder die Gefahr des quellenden Anhydrits verständlich gemacht. Sondern er hat auch über die Lobbyarbeit von Betonmafia und Immobilienspekulanten aufgeklärt und das Projekt als Teil eines politisch gewollten Irrwegs der Deutschen Bahn insgesamt aufgezeigt – zerstörerisch insbesondere im Blick auf seine klimapolitischen Wirkungen.
So fasst er in seinem zum S21-Standardwerk gewordenen Buch „abgrundtief und bodenlos – Stuttgart 21, sein absehbares Scheitern und die Kultur des Widerstands“ von 2018 zusammen: „Stuttgart 21 ist nicht nur das größte Bauprojekt Deutschlands. Es hat auch die Besonderheit, dass hier mit einem Aufwand von 10 Milliarden Euro eine funktionierende Bahnhofskapazität um 30 Prozent verkleinert werden soll. Die Gewinner sind die Immobilienbranche, die Autoindustrie und die Luftfahrt. Die Verlierer sind der Schienenverkehr, Stuttgarts Bevölkerung und das Klima.“
Dass dann im Jahr 2020 der Künstler Peter Lenk das 10 Meter hohe S21-Mahnmal „Schwäbischer Laokoon“ erstellte und anfangs in Stuttgart aufstellen konnte, geht ganz wesentlich auf Winnies intensives Einwerben von Spenden und seinen engen Kontakt mit dem Bildhauer zurück. Auch wenn die satirische Skulptur zurzeit wieder bei Lenk am Bodensee steht, wirkt sie weiterhin mit an der Aufklärung der verfilzten Machenschaften rund um das Projekt.
Im Wesentlichen seiner Initiative ist auch die Konferenz „Klimabahn statt Betonbahn“ von 2022 in Stuttgart zu verdanken. Deren wesentliche Thesen gehen nicht zuletzt auf ihn zurück: Bahnverkehr ist nicht als solcher klimafreundlich, sondern nur, wenn bestimmte Grundsätze eingehalten werden, wie Ausbau vor Neubau, möglichst wenig Betonverbrauch, möglichst wenig Tunnels, integraler Taktverkehr, Verstärkung der Bahn in der Fläche oder Begrenzung des Hochgeschwindigkeitsverkehrs – alles Punkte, denen das Projekt S21 elementar widerspricht und die uns zum Begriff „KlimaSkandalS21“ inspiriert haben.
Und als ob die Vorbereitung dieser Konferenz nicht schon genug wäre, war Winnie parallel dazu zentraler Antrieb dafür, dass der Film des Regisseurs Klaus Gietinger über Stuttgart 21 entstanden ist – mit Winfried Wolf als Produzenten und Organisator der nötigen Geldmittel. Der inzwischen bundesweit beeindruckende, abendfüllende Film „Das Trojanische Pferd“, ein Paukenschlag an aufklärender Information, wird noch lange ein wichtiges Mittel zur Verbreitung des Protests gegen S21 sein.
Das alles ist nun Geschichte; in dieser Form und Dichte wird das niemand fortsetzen können. Winnie wird uns dauerhaft fehlen, menschlich und politisch. Was wir aber weiterhin unverlierbar haben, sind eben all die Schriften, Reden, Gedanken, Perspektiven, die er uns hinterlassen hat. Sie werden auch weiterhin eine zentrale Hilfe bei unserer Widerstandsarbeit sein. Winfried Wolf wird so dauerhaft präsent sein in unserer weiteren Arbeit bis zum endgültigen Scheitern des Projekts S21.
Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21, im Mai 2023