Das riskante Spiel der Bahn und ihrer Partner durch Weiterbau von S 21

Bahnchef Rüdiger Grube hat es nach dem Kosten-„Offenbarungseid“  der Deutschen Bahn vom 12.12.2012 selbst auf den Punkt gebracht: Man brauche einen neuen Finanzierungsvertrag mit den S 21-Projektpartnern, denn der Kostendeckel des Finanzierungsvertrags vom 2.04.2009 von 4,526 Milliarden Euro war nach jahrelanger Verschleierung der Fakten plötzlich um 2,3 Milliarden Euro gesprengt.

  1. Ich frage Sie: Ist es geboten, das Großprojekt „Stuttgart 21“ mit wenigstens rund 7 Milliarden Euro Steuergeldern jetzt noch in weiteren Teilabschnitten zu genehmigen, obwohl der Projektbetreiber den Wegfall der Finanzierungsbasis und damit der Geschäftsgrundlage eingestehen musste?
  2. Bekanntlich muss  die Planfeststellung zu PFA 1.3 nach anerkannten rechtlichen Maßstäben „vernünftigerweise geboten“ sein, wenn die Planung nach § 74 VwVfG zu Lasten von Eigentümern und anerkannten Verbänden gerechtfertigt sein soll (BVerwGE 48, 56, 60 u. ständige Rspr.). Ich meine, es fehlt im Rechtssinne an der Planrechtfertigung des Gesamtprojekts. Und zwar nicht allein wegen der Kostensituation, sondern zugleich, weil es purer Wahnsinn ist, in  Größenordnungen von vielen Milliarden Euro den Schienenverkehr mit einer Fülle von Funktionsmängeln zu verschlechtern, eine Verschwendung von Geldern, die für soziale Aufgaben fehlen, und das Ganze noch gekoppelt mit einem kostenbedingt weggebrochenen Finanzierungsvertrag. So  wird die Bahn zur Bad Bank für Hasardeure. Dafür darf unser Rechtsstaat kein grünes Licht geben.
  3. Manche halten dagegen, die Bahn habe doch durch ihren Aufsichtsrat am 5.03.2013 ihren Finanzrahmen für das Projekt um zwei Milliarden Euro erhöht. Richtig. Aber das war eine einseitige Maßnahme ohne rechtliche Selbstbindung, die den fehlenden Finanzierungsvertrag nicht ersetzen kann. Hinzu kommt: Der Schritt war gekoppelt mit der Einsicht, dass man für Kosten von 1,1 Milliarden Euro aus Eigenverschulden ohnehin haften müsse, davon – wie es die Bahn beschönigend formuliert – 610 Mio. „nicht budgetierte Leistungen“ und 490 Mio. Euro „nicht realisierbare Planansätze“. Das wusste man zumindest in Höhe von 891 Mio. Euro schon 2009, die damals aber schöngerechnet wurden, um den Kostendeckel noch unterschreiten zu können. Mit solchen bedenklichen Operationen ist also auch heute zu rechnen. Im Übrigen fehlt es auch deshalb an einer verbindlichen Kostenzusage der Bahn, weil sie immerhin – um den Anschein wirtschaftlichen Handelns zu wahren -, ankündigt, die Projektpartner später auf Beteiligung an den Mehrkosten zu verklagen.
  4. Der Weiterbau und damit auch der DB-Genehmigungsantrag zur Filder basiert auf dem Beschluss vom 5.03.2013, mit dem die Bahn-Verantwortlichen das so eingestufte „eigenwirtschaftliche Projekt“ zwar kurioserweise als „unwirtschaftlich“ eingestanden (präzise – 0,3 % Negativverzisung des Eigenkapitals), sich aber wegen eines verstärkt seit Februar 2013 ausgeübten politischen Drucks des ehemaligen Kanzleramtsministers Pofalla & Co. auf Linie des blinden Weiterbaus von S 21 bringen ließen. Hier wurde der vom BGH (BGHZ 135, 244, 253 f.) gesetzte aktienrechtliche Maßstab, Entscheidungen allein am Wohl des Unternehmens auszurichten, verletzt und strafbare Untreue am Unternehmen Bahn begangen. Schon im Monat vor dem Beschluss des Aufsichtsrats hat die damalige Bundesregierung klar und eindringlich verkündet, S 21 werde weitergebaut, so dass die gesetzliche Kontrollpflicht des Aufsichtsrats gänzlich zur Makulatur gemacht wurde.
  5. Gegeneinwand der Bahn: Der S 21-Ausstieg hätte angeblich zwei Milliarden Euro gekostet, der Weiterbau sei deshalb richtig gewesen. In diesen zwei Milliarden sind aber über drei Viertel unhaltbare Positionen hineingerechnet  –  ich nenne nur die Zahlung von knapp 800 Millionen Euro an die Stadt Stuttgart für die Rückübereignung des Gleisvorfeldes an die Bahn, obwohl der Kopfbahnhof ohnehin erhalten bleiben muss, weil  die nach § 11 AEG und nach amtlicher Auskunft des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages (WD 7 3000-132/11) zu beantragende Stillegung der Bahngleise nie beantragt wurde und eisenbahnrechtlich nach dem Gutachten Prof. Dr. Urs Kramer nicht zu erwarten  wäre. Auch weitere Schadensbezifferungen sind nicht belegt.

Die Bahn-Verantwortlichen verletzen durch ihren Weiterbau von S 21 also aktienrechtliche, eisenbahnrechtliche und strafrechtliche Maßstäbe. Da das Projekt spätestens seit dem Bahn-Offenbarungseid vom 12.12.2012 hätte beendet werden müssen, kann der Teilabschnitt Filder jetzt auf keinen Fall genehmigt werden.

  1. Übrigens haben wir hier auch die makabre Kombination: Die Kostenlawine gekoppelt mit Leistungsabbau im rechtlichen Vakuum ist der Gipfel des Absurden. Jeder Tag des Weiterbaus von S 21 ist ein Akt der objektiv strafbaren Untreue am Gemeinwohl, weil der Weiterbau zur Leistungsverschlechterung führen wird. Das verbietet die Vernunft  und kann also nicht entfernt genehmigungsfähig sein.
  2. Die Bahn aber agiert  doppelbödig: Sie baut weiter und wenn ihr die Kosten über den Kopf wachsen, ist sie zu nichts mehr verpflichtet, ja sie muss dann sogar ihren Weiterbau nach Aktienrecht und Strafrecht und nach eigenen Maximen beenden. Was dann bleibt, ist ein Bautorso, weil sie nicht gesetzwidrig unwirtschaftlich handeln darf. Dazu kann es schneller kommen, als viele glauben, wenn neue Planänderungen mit einschneidenden Kostenfolgen auftreten etwa wegen des fehlenden Brandschutzes, der hochgefährlichen Schiefneigung oder fehlender Barrierefreiheit des Bahnhofs oder wenn morgen das Ermittlungsverfahren wegen Verdachts strafbarer Untreue gegen die Bahnchefs in Gang kommt. Das wird sich noch zeigen.
  3. „Mitgegangen mitgehangen“ –  die Projektpartner können nicht darauf bauen, die Deutsche Bahn werde schon zahlen, denn sie sei ja der Projektträger. Wo die von Bahnchef Rüdiger Grube vergeblich gewünschte neue Finanzierungsvereinbarung fehlt, ist die Unsicherheit gewaltig groß: Die viel zitierte Projektförderpflicht der Projektpartner steht im Zwielicht der Beihilfe zu strafbarer Untreue der Bahn-Verantwortlichen und fördert eine erpressbare Situation, weil die Bahn mangels wirksamer Gesamtvereinbarung zur Projektvollendung nicht verpflichtet ist.  
  4. Verbunden mit der Kostensituation leistet sich die Bahn schwere Rechtsmängel, lässt von ganz oben aus dem Kanzleramt oder gegenüber dem EBA aus dem Bundesverkehrsministerium gesetzwidrige Verhältnisse der sechsfach überhöhten Gleisneigung im Tiefbahnhof sanktionieren oder will den Mischverkehr auf der Filderstrecke durchziehen. Zugleich hat man das Gesamtprojekt dieser Bundesaufgabe zu gut ein Drittel entgegen Art. 104 a GG durch die Partner mischfinanziert. Weil es sich hier um einen, wie das Bundesverfassungsgericht sagt „tragenden Eckpfeiler der bundesstaatlichen Ordnung handelt“, der keine Kompetenzverschiebung zu Gunsten reicher Länder zulässt (vgl. BVerfGE 32, 145 (156); 39, 96 (109)), steht auch dies einer Genehmigung klar entgegen. Das Verfahren darüber läuft aufgrund des zweiten Stuttgarter Bürgerbegehrens beim VGH Mannheim (1 S 1949/13). Und auch wenn die Auffassung nicht geteilt wird, dass die staatliche Mischfinanzierung verfassungswidrig ist, müsste klar sein: Das Gebot des effektiven Rechtsschutzes verlangt es, jetzt nicht weiter möglicherweise verfassungswidrig vollendete Tatsachen zu schaffen, sondern das Ergebnis des Prozesses abzuwarten.

Denn die Bahn hat nicht erklärt, auch ohne die Zuschussfinanzierung von Stadt, Land, Region und Flughafen das Projekt „Stuttgart 21“ weiter zu betreiben. Das kann sie auch nicht, weil es total dem Prinzip wirtschaftlichen Handelns widerspräche.

Auch vor  dieser Situation die Augen zu verschließen nach dem Motto „Augen zu und durch“, ist höchst unverantwortlich und eben auch gesetzlich alles andere als „vernünftigerweise geboten“.

Zur Vermeidung von Milliardenschäden öffentlichen Vermögens, aus rechtsstaatlich begründeter Selbstachtung und Rechtstreue ist dem Antrag der Bahn Einhalt zu gebieten.