Sehr geehrter Herr Dr. Bitzer,

auch ich habe die Tage der offenen Baustelle vom 3. bis 5. Januar 2020 besucht.

Allerdings muss ich sagen, dass nicht nur ich von dieser Werbeshow sehr enttäuscht war. Überall auf der Baustelle sah man Schlamperei, Unordnung, bauliche Mängel und Verstöße gegen die Umweltschutzauflagen.

Die Grafiken und Zeichnungen waren meistens nicht mit Maßen versehen und außerdem verzerrt dargestellt. Auch Angaben zu Fertigstellungsterminen vermisste ich durchgehend. Aber da hat sich die Bahn wohl abgesichert, um bei weiteren Verzögerungen im Bauablauf nicht dumm dazustehen. Außerdem kann man dann die Plakate so auch in den nächsten Jahren wieder verwenden – sie sind ja zeitlos!

Ich möchte meine Vorwürfe mit einigen Beispielen belegen:

So wurde eine Grafik vom Querschnitt einer Fildertunnelröhre präsentiert, bei der die Größenverhältnisse absolut nicht nachvollziehbar sind. Wie Sie selbst hoffentlich wissen, ist ein ICE4 3020 mm breit. Nach diesem Bild müsste ja dann der Rettungsweg irgendwo zwischen einer Breite von 2 und 2,5 Metern liegen. Dabei, so sagten Sie am 04.12.2019 vor dem VGH Mannheim selbst, ist dieser nur 1.20 Meter breit und erfüllt damit nur die Mindestanforderungen.

Will man also mit dieser verzerrten Darstellung dem zumeist unkundigen Publikum ein höheres Maß an Sicherheit suggerieren?

Außerdem wird mit dieser Grafik der Eindruck vermittelt, dass es in den Tunneln taghell wäre, was auch nicht der Wahrheit entspricht.

Wenn die Bahn bzw. die Projektgesellschaft Stuttgart – Ulm schon an die Öffentlichkeit geht, was eigentlich nicht ihre Art ist, dann sollten die Besucher auch realistische Vorstellungen bekommen von dem, was sie mit Stuttgart 21 erwartet.

Kommen wir nun zur Umweltverschmutzung durch die DB AG bzw. in diesem konkreten Fall durch die Firma Hölscher, die von der DB mit dem Bau und Betrieb des Grundwassermanagements beauftragt wurde.

Bild 2 zeigt aus einem Bagger ausgetretenes Öl und auf Bild 3 sieht man, wie man dieses Problem löste. Anstatt mindestens Bindemittel auf die betroffene Stelle im Heilquellenschutzgebiet (!!!) zu streuen und damit das ausgetretene Öl zu binden – deshalb heißt es ja “Bindemittel” – begnügte man sich damit, einige Schaufeln Erde auf die Öllache zu werfen und das Öl somit im Asphalt versickern zu lassen. Ob der Bagger übrigens abgedichtet wurde, entzieht sich meiner Kenntnis.

Das hat nichts mehr mit Fahrlässigkeit zu tun, das ist kriminell!

Aber nun zum Höhepunkt der Show, zu den Kelchstützen. Ich finde es schon sehr bedenklich, wenn man von graubraunen Betonteilen mit Rostspuren (Bild 4) behauptet, dass diese noch schneeweiß würden. Glauben Sie diesen Schwachsinn eigentlich?

Die Frage ist ja auch, was wohl Herr Ingenhoven dazu sagt.

Allerdings würde ihn der Zustand einiger Stützen (Bild 5 und 6) wohl noch weit mehr Kopfzerbrechen bereiten. Ich bin zwar kein Fachmann, kann mir aber nicht vorstellen, dass dieser Zustand so geplant war.

Vielleicht fragen Sie mal Herrn Ingenhoven, was er dazu für eine Meinung hat.

Am meisten erschreckt hat mich allerdings, mit welcher Arroganz die Vertreter der Bahn die interessierten Besucher belügen, wenn es darum geht, den bestehenden Kopfbahnhof mit der zukünftigen tiefergelegten Haltestelle zu vergleichen.

So wurde auf dem Diagramm 1 die Leistungsfähigkeit des Kopfbahnhofs mit 34 Zügen angegeben. Nun habe ich zwar den Fahrplan 2020 noch nicht intensiv studiert, weiß aber mit Sicherheit, dass im Sommer 2019 in der Spitzenstunde 39 Züge abgefertigt wurden. In früheren Jahren waren es übrigens noch sehr deutlich mehr.

Wenn die Deutsche Bahn die Zahl der verkehrenden Züge verringert, dann heißt das noch lange nicht, dass der Bahnhof eben nur 34 Züge leisten kann. Da werden Äpfel mit Birnen verglichen.

Und was Sie persönlich im Zusammenhang mit ETCS vorrechneten, enbehrt auch jeder Grundlage. Wie sollen zum Beispiel bei einer zweiminütigen Haltedauer die Reisenden alle ein- und aussteigen?

Und wenn es dann noch Türstörungen gibt, was ja keine Seltenheit ist, dann bricht Ihr schöner Fahrplan sowieso in sich zusammen.

So fuhr ich neulich in einem Doppelstockwagen, bei dem 3 von 4 Türen von einer Störung betroffen waren. Aber das nur am Rande.

Kommen wir nun zu Diagramm 2: Auf dieser Darstellung wurden angeblich die jetzigen Fahrzeiten mit zukünftigen Fahrzeiten mit Stuttgart 21 verglichen.

Ich habe mir allein die Verbindung Stuttgart – Nagold etwas genauer angeschaut und bin empört, wie schamlos die Bahn ihre Kunden belügt.

Da wurde grafisch dargestellt, dass sich durch Stuttgart 21 die Fahrzeit von Stuttgart nach Nagold um 17 Minuten von 97 Minuten auf 70 Minuten verkürzt. Das begeistert natürlich die Befürworter des Projekts, die aber nicht wissen, dass ich heute vom Kopfbahnhof in 69 Minuten nach Nagold fahren kann (siehe Anhang Nagold). In dieser Zeit ist sogar ein Umstieg in Hochdorf enthalten.

Und wer bietet diese schnelle Verbindung an? Man mag es kaum glauben aber es ist die gleiche Deutsche Bahn, die bei den Tagen der offenen Baustelle behauptet, dass man heute von Stuttgart (Kopfbahnhof) nach Nagold 97 Minuten braucht!

Wer allerdings zwei Umstiege in kauf nimmt, also S-Bahn, Bus und Regionalbahn benutzt, spart oft sogar noch eine weitere Minute.

Außerdem könnte man vom Stuttgarter Kopfbahnhof sogar durchgehende dieselgetriebene Züge nach Nagold fahren lassen, was zu einer weiteren Zeitersparnis führen würde. Mit Stuttgart 21 verbietet sich diese Option, da im Untergrund nur bestimmte elektrische Zuggattungen fahren können.

Ich nenne diese Desinformation schlicht und einfach Betrug!

Ich könnte Ihnen noch viele weitere Kritikpunkte darlegen, möchte es aber für den Moment bei den oben aufgeführten Beispielen belassen.

Unter diesen Umständen wäre es wohl ehrlicher, wenn die DB AG und die PSU im kommenden Jahr auf derartige Propagandaveranstaltungen verzichten würden.

Ich hoffe, Sie haben den Mut, mir zu antworten.

Mit freundlichen Grüßen

Peter Müller

 

 

Der Verfasser schrieb ebenfalls einen lesenswerten und ausführlichen Bericht über seinen Besuch.