(hier als pdf-Datei)

Werner Sauerborn auf Friday-Demo 3. Feb. 2023, Marktplatz Stuttgart

Liebe Freundinnen und Freunde!

Die meisten Reden beginnen ja etwa so: „Vielen Dank für die Einladung, dass ich bei Euch reden darf“. Ich freu mich zwar auch über die Einladung, aber ich meide dieses „Ihr Klimaaktivist*innen“ und „wir S21-Gegner*innen“, weil wir auch von Anbeginn Klimaaktivist*innen sind – von den Parkbesetzungen gegen das Fällen dieser uralten Platanen im Schlossgarten bis heute, wo es bei S21 um noch mehr Wachstumsfetischismus, noch mehr Bodenversiegelung, Tunnelbau, Flugreiseförderung, weniger Artenschutz und weniger Hochwasserprävention geht.
Das Label „Bahnhofsgegner“ verdeckt leider, dass es bei S21 um fast die komplette Palette der aktuell brennenden Klimafragen geht, z.B. um die Frage, dass ein verkleinerter Bahnhof zu mehr Autoverkehr und – logisch – zur Forderung nach mehr Straßenbau führt.

Womit wir beim „Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren“ wären.
Krisenzeiten sind die Stunde der Macher, des Hauptsache-schnell, der sog. Deutschlandgeschwindigkeit. Schnell leider vor allem beim Abräumen demokratischer Beteiligungsrechte, die oft genug vor dem größten Unsinn geschützt haben, und schnell beim Abräumen von Klimazielen. So bei Genehmigung und Ausbau der LNG-Terminals, über die Gas, auch aus Fracking, aus aller Welt ins Land befördert wird – eine angeblich nur befristete Rückkehr in den Fossilismus. Und weil man gerade so schön in Schwung ist, will Wissing auch die neue Deutschlandgeschwindigkeit beim Autobahnbau durchdrücken. Ein No-Go, gegen das wir uns mit all unserer Kraft stemmen müssen!

Und dann ist da auch die Rede vom beschleunigten Ausbau des Eisenbahnnetzes. Klingt ja erstmal so allgemein gut. In einem Infotext zu den heutigen Friday-Demos stand dann auch: „Die Beschleunigung von Schienenausbau ist wichtig – der Ausbau von Autobahnen hingegen ist in Zeiten der Klimakrise unnötig und gefährlich”. Letzteres ist klar. Aber Schienenausbau ist nicht an sich richtig. Es gibt sinnvollen, aber auch extrem klimadestruktiven!

In dem klasse Webinar von Fridays am Montag mit Luisa Neubauer, Prof. Knie u.a. sagt Katja Diehl: „Das Allerschlimmste, was man machen kann, ist Tunnelbau. Das ist der größte Emittent schlechthin von CO2!“ – und bezieht sich dabei auf den Lobau-Tunnel, einen geplanten 2 x 8,2 km langen Autotunnel unter Wien, gegen den die Grüne Umweltministerin Gewesseler erfolgreich (gerichtlich gegen ihren Koalitionspartner!) zu Felde zieht. Hiesige Grüne aufgemerkt!

Was für einen Autotunnel gilt, gilt physikalisch natürlich genauso für Eisenbahntunnel – es sei denn, es gibt keine Alternativen und sie machen verkehrlich Sinn. Unter dem Druck der Betonindustrie und vieler anderer verfolgt die DB weiter die Strategie der Rennstrecken mit möglichst vielen Tunneln. In der Klimabilanz muss aber die sog. Graue Energie mit dem exzessiven Einsatz von Stahlbeton einbezogen werden, und der dreimal so hohe Energieverbrauch bei Tempo 300 statt 160, und der viel höhere Materialverschleiß. All das potenziert sich bei Tunneln, und dann noch extrem steilen wie bei S21 und der Neubaustrecke.
Würde man unter Berücksichtigung all dessen die Klimabelastung des gefahrenen Kilometers im geplanten S21-Netz, inklusive Neubaustrecke, ermitteln, dürfte rechnerisch Fliegen und Autofahren klimafreundlicher sein als Bahnfahren. Die Schiene verspielt so ihren klimabilanziellen Vorsprung gegenüber anderen Verkehrsträgern.
S21 steht da für viele solcher Projekte bundesweit. Und bei S21 geht es nicht um 2 x 8,2 km wie beim Lobau-Tunnel, sondern um die schon gebauten knapp 60 km. Weil die an allen Ecken und Enden nicht funktionieren, sollen jetzt weitere 47 km Tunnel dazu gebaut werden – die das Projekt aber auch nicht retten werden. Wir nennen das “S21 Zwo”. Das alles ist verhinderbar und es gibt klimagerechte Alternativen. Aber dazu vielleicht ein andermal.

Ein Wort zum Schluss noch zu den Grünen. Die Erfahrungen, die ihr und wir in Lützerath mit dem faulen Kohlekompromiss unter grüner Regie gemacht haben, war für S21-Gegner*innen ein Déjà-vu!
Wenn die grüne Klimaministerin in NRW sagt, Lützerath müsse wegen der Energiesicherheit (wessen eigentlich?) abgebaggert werden, dann ist das der gleiche Machtopportunismus, den wir bei S21 von Kretschmann, Herrmann, Fritz Kuhn und Pätzold seit Jahren kennen und was Luisa Neubauer im Spiegelinterview kürzlich „das Verkleiden des Schlechten als glorreich“ nannte.

In diesem Sinne:
„Kohle bleibt unten, Bahnhof bleibt oben und Autobahnpläne bleiben Makulatur!“

Werner.sauerborn@t-online.de, twitter: @WernerBorn_