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Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Kretschmann!
Sehr geehrte Mitglieder des Landesvorstands der Grünen!

Mit der jüngsten Landtagswahl ist eine neue Lage entstanden: Die Grünen können viel deutlichere eigene Akzente setzen als bisher und klare Forderungen an die CDU richten.

Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 bittet Sie deshalb, bei den nun anstehenden Koalitionsverhandlungen besonders im Blick auf das Projekt „Stuttgart 21“ mit einer Neujustierung Ihrer Position Verantwortung für die Zukunft des Landes zu zeigen.

Dabei sollen nicht „Schlachten von gestern geschlagen“, sondern die aktuellen Problemstellungen berücksichtigt werden: allen voran der weit vorangeschrittene Klimawandel, aber auch die Gefahr, dass S21 zur Bauruine werden kann.

Zur Bauruine droht S21 zu werden, weil die Bahn ein detailliertes Brandschutzkonzept erst nach Abschluss aller Bauarbeiten vorlegen will. Gegenüber dem bislang von der Bahn vorgelegten unzulänglichen Konzept (siehe Report Mainz vom 30.3.21, kontext in taz vom 3.4.21 u.a.) werden ganz erhebliche – kostspielige und zeitraubende – Nachrüstungen gefordert werden bzw. für eine Betriebsgenehmigung erhebliche Einschränkungen des Zugverkehrs zu erwarten sein. Anders als beim ähnlich gelagerten Fall des BER dürfte eine nachträgliche Behebung der Brandschutzdefizite bei S21 gar nicht mehr möglich sein. Das Grundrecht auf Leib und Leben hat absolutem Vorrang, auch vor dem S21-Finanzierungsvertrag.

Sehr begrüßen wir, dass Sie „Klima, Klima und nochmal Klima“ zur höchsten Prioritär bei den jetzt beginnenden Koalitionsverhandlungen erklärt haben. Mit Stuttgart 21 liegt eine der entscheiden Stellschrauben für einen Ausstieg aus der Spirale der Erderhitzung in Ihrer Verantwortung als Landesregierung. Zur Bekämpfung des Klimawandels muss statt eines Rückbaus ein ganz erheblicher Zuwachs an Leistung und Attraktivität des gesamten Bahnknotens (inklusive Filderbereich) erreicht werden. Statt lediglich für Fernverbindungen ist ein Integraler Taktverkehr auch zum Regionalverkehr erforderlich, sowie ein leistungsfähiges S-Bahn-Notfallkonzept und eine ausreichende Redundanz von Verbindungen (z.B. bei Sperrung eines Tunnels). Weiterer Bodenversiegelung auf den Fildern und im Rosensteinareal müssen, ebenso wie beton- und damit CO2-intensiven sogenannten Ergänzungsprojekten Einhalt geboten werden. Alles muss auf den Prüfstand der Klimaverträglichkeit, auch und gerade Stuttgart 21!

Sollten Teile von Stuttgart 21 keinen leistungsfähigen Zugverkehr ermöglichen, böten die Tunnels die einmalige Chance, sie auf innovative Weise klimaschonend zu nutzen: für vollautomatischen führerlosen Warenverkehr zwischen Peripherie und Zentrum („City-Logistik“). Hierzu wird das Aktionsbündnis in Kürze detaillierte Vorschläge vorstellen.

Wir würden uns freuen, wenn Sie sich in den Koalitionsverhandlungen auf eine Vereinbarung in diesem Sinne verständigen könnten:

„Für das 1,5-Grad-Ziel beim Klimawandel ist das Land auf einen hoch attraktiven und leistungsfähigen Bahnverkehr angewiesen. Klimapolitische Kollateralschäden beim Bau von Bahninfrastruktur müssen vermieden werden. Wir setzen uns deshalb dafür ein, dass anstehende Baumaßnahmen und Vergaben grundsätzlich bis zur Klärung ihrer Folgen für Klima, Leistungsfähigkeit und Sicherheit ausgesetzt werden.“

Mit freundlichen Grüßen,
Martin Poguntke    Dr. Eisenhart von Loeper     Dr. Norbert Bongartz