Drei Tage nachdem die Stadt einen Persilschein ausgestellt hatte

Anfangs war von drei Arbeitern die Rede, inzwischen – Stand Freitagabend – sind es schon sechs  türkische S21-Arbeiter, die infiziert wurden, zwei wurden bereits ins Krankenhaus überführt. Etliche Kontaktpersonen der Erkrankten aus den Containerwohnungen am Nordbahnhof wurden unter Quarantäne gestellt. Türkische Kollegen waren im Cannstatter Tunnel und im Bahnhofstrog eingesetzt. Den Skandal, der zunächst wohl unter der Decke gehalten werden sollte, hat Stadtrat Tom Adler (Vorsitzender des Linksbündnisses FrAKTION) aufgedeckt und öffentlich gemacht, nachdem ihm entsprechende Informationen zugespielt worden waren.

Das Aktionsbündnis hatte bereits am 26. März vor den Ansteckungsrisiken auf den S21-Baustellen gewarnt und einen Baustopp gefordert: „Wo Fabriken, Geschäfte und Büros mit Rücksicht auf das Ansteckungsrisiko dicht machen und nur noch „systemrelevante“ Arbeiten verrichtet werden, sei völlig unverständlich, dass auf den S21 Baustellen weiter gearbeitet werde, wo oft die Distanzregeln nicht eingehalten werden können. Gerade weil viele Tunnelarbeiter*innen aus Osteuropa und vor allem Österreich kommen, bestehe zudem das Risiko grenzüberschreitender Infektionen“.

Sabine Leidig, MdB DIE LINKE, hatte die Kritik in Reden auf der digitalen Montagsdemo und im Bundestag aufgegriffen. Die Reaktion der Stadt, die ihr Umweltamt vorschickte, war ein pauschaler Persilschein für die S21-Baustellen: es „seien bisher keine Verstöße bei Stichprobenkontrollen festgestellt worden. Auch mit den Verantwortlichen der Baufirma Züblin und der Deutschen Bahn sei man im Gespräch. Das Infektionsrisiko auf der Baustelle werde fortlaufend neu bewertet und Schutzmaßnahmen angepasst“ (SWR BW-Studio Stuttgart, am 14. April).

Während in Österreich die maßgeblich bei S21 beteiligten Baukonzerne Strabag (mit seiner Tochter Züblin) und Porr auf Druck von Auftraggebern und Politik ihre Baustellen schon vor Wochen fast vollständig geschlossen haben, stehen dieselben Firmen bei Stuttgart21 offensichtlich unter besonderem Schutz der politisch Verantwortlichen in Stadt und Land. Aus dem vormals postulierten „Kritischen Begleiten“ ist inzwischen ein unkritisches Begleiten von Stuttgart 21 geworden. Die zuständigen Gewerbeaufsichtsämter werden offenbar rausgehalten. Die S21-Baustellen würden nur stichprobenartig geprüft, um die Mitarbeiter des Amts vor Ansteckung zu schützen. Damit kaschieren die Verantwortlichen nur mühsam ihre fehlende Bereitschaft, bei S21 ähnlich konsequent durchzugreifen, wie sie es bei Kontrollen in der Königstraße oder am Bärenschlösschen machen, wenn Sicherheitsvorschriften nicht beachtet werden.

Niemand klopft der türkischen Firma ERFA auf die Finger, die auf ihrer Website dafür wirbt, in Deutschland „Arbeit in einem besonders gesunden und sicheren Arbeitsumfeld“ zu bieten. Niemand schert sich darum, dass die Sub-Unternehmen der S21-Firmen Hochtief und Züblin nach Aussagen der türkischen Arbeiter sieben Euro, also weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn, die Stunde zahlen, dass sie offensichtlich keine Krankenversicherung für Deutschland besitzen, in engen Containern zusammengepfercht wohnen, dass Ihnen kein angemessenes Schutzmaterial zur Verfügung gestellt wurde, dass ihre Arbeitsverträge seit dem 14. April ausgelaufen sind, viele über keine Geldreserven verfügen und dass sie ohne Deutschkenntnisse bei alledem kaum wissen wie ihnen geschieht.

„In vielen Bereichen müssen jetzt oft schmerzhafte Risiken für Beschäftigten in systemrelevanten Bereichen eingegangen werden. Dass jedoch Gesundheit und Leben von Bauarbeitern für ein sinnloses Projekt aufs Spiel gesetzt werden, kann man nur noch als Skandal bezeichnen“, so Bündnissprecher Martin Poguntke. Inzwischen dürfte es wohl eine Selbstverständlichkeit sein, dass die Bauarbeiten auf den S21-Baustellen umgehend eingestellt werden müssen. Das Bündnis fordert ein Ende der Geheimniskrämerei bei S21, d.h. volle Transparenz über das Geschehen auf allen S21-Baustellen und eine Untersuchung der Verantwortlichkeiten für den Ausbruch des Virus, insoweit dieser vermeidbar gewesen wäre.

Kontakt:
Martin Poguntke 0711 76160518
Tom Adler 0179 9007010
Werner Sauerborn  0171 320 980 1

Videodokumente von der Facebookseite der türkischen Bauarbeitergewerkschaft Insaat.

https://www.facebook.com/insaatis/videos/213129973441233/  tumultartiger Protest in Container
https://www.facebook.com/insaatis/videos/873035656495375/ Behandlung eines Erkrankten im Zimmer