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Antrag nach §§ 48, 75 Abs. 2 S. 2 sowie ggfs. §§ 48, 75 Abs. 1 a S. 2 2 VwVf wegen ungenügenden Brandschutzes beim Bahnprojekt Stuttgart 21

Sehr geehrter Herr Präsident Hörster,
sehr geehrte Damen und Herren,

namens und in Vollmacht (hier folgen Namen und Anschriften der Antragsteller)

beantrage ich,

das Eisenbahnbundesamt als für die Planfeststellung beim Projekt Stuttgart 21 zuständige Behörde möge

  1. innerhalb eines ergänzenden Planfeststellungsverfahrens zum Projekt Stuttgart 21 Vorkehrungen und Auflagen gegenüber der Vorhabenträgerin anordnen, die geeignet sind, ein Versagen des Brandschutzes beim Brand eines Zugs in einem der S21-Tunnel, insbesondere auch im Fildertunnel als dem längsten Tunnel, auszuschließen, wie es § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG vorsieht;
  2. soweit jedoch festzustellen ist, dass der erforderliche Brandschutz wesentliche Mängel aufweist, die nicht oder – nach dem vorgerückten Stand des Bahnprojekts – nicht mehr durch eine Planergänzung behoben werden können, sodann die zugrunde liegenden Planfeststellungsbeschlüsse gemäß § 75 Abs. 1 a Satz 2 VwVfG aufheben.

Begründung:

  1. Rechtliche Ausgangslage

Antragsbefugnis der Antragsteller:

Die Schutzgemeinschaft Filder ist im Sinne des § 2 Abs. 1 UmwRG anerkannt und in ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich der Förderung der Ziele des Umweltschutzes berührt, was wegen ihrer Beteiligung an der Planfeststellung als dort bekannt vorausgesetzt wird. Die Planung des Brand- und Katastrophenschutzes hat – schon wegen der erforderlichen Baumaßnahmen und des Austretens giftiger Stoffe im Unglücksfall – erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt.

Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 verfolgt im Rahmen seiner Satzung unter anderem folgende Zwecke: „Im Zusammenhang mit der Ausgestaltung und Umsetzung von Projekten des Schienenverkehrs – vorrangig in Baden-Württemberg – die Vorsorge zur Vermeidung von Lebensgefahren und Unfällen sowie der wirkungsvolle Brand- und Katastrophenschutz für Bahnreisende und vom Bahnverkehr Betroffene, wobei die Sicherheit und Gesundheit von Kindern, älteren und behinderten Menschen besonders zu beachten ist.“

Der Verein zur Förderung des Eisenbahnwesens e.V. verfolgt satzungsgemäß u.a. folgende Zwecke:

‒ Mobilität für alle, beispielsweise Eisenbahn als Grundversorgung, steuerzahlerfreundlich, menschengerecht, umweltfreundlich, zukunftsfähig (im technischen Sinne) z.B. durch den Einsatz für die Durchsetzung eines Integrierten Taktfahrplans für ganz Deutschland (Deutschland-Takt) oder für den Erhalt und den Ausbau der Leistungsfähigkeit (Kapazität) von Schienensystemen und Bahnhöfen;

‒ Begleitung der Planung und der Errichtung von Eisenbahnverkehrsbauten in allen Ingenieursdisziplinen, beispielsweise durch die Bearbeitung von Veröffentlichungen, Planfeststellungs- und Planänderungsbeteiligungen, Beweissicherungsunterlagen, Behördenschriftwechsel, Bürgeranfragen, zum Beispiel für einen funktionierenden, leistungsfähigen, ausbaufähigen Bahnknoten Stuttgart.

Die Antragsteller Hans Heydemann, Dr. Werner Sauerborn und Dieter Reicherter sind häufige Bahnnutzer, Inhaber von Bahncards und regelmäßig Fahrgäste auf den Bahnstrecken, die das Projekt Stuttgart 21 umfasst, also auch nach dessen etwaiger Inbetriebnahme in den ca. 60 km umfassenden Tunnelstrecken.

Der Antragsteller Karlheinz Scherwinski ist als Schwerbehinderter auf den Rollstuhl angewiesen und hat dadurch bei seinen häufigen Bahnfahrten schon im störungsfreien Bahnbetrieb erhebliche Erschwernisse hinzunehmen. Bei einem Brandfall in einem der Tunnelstrecken von Stuttgart 21 wäre er – bei dem vorliegenden Brandschutzkonzept – rettungslos verloren! Bei einer Realisierung von Stuttgart 21 auf der Basis des unzureichenden Brandschutzes käme für ihn eine Nutzung der Bahn von Stuttgart aus nicht mehr infrage, was für ihn als Rollstuhlfahrer ohne Auto eine einschneidende Beschränkung seines Mobilitätsspielraums bedeuten würde.

Alle persönlichen Antragsteller sehen sich durch die mangelhafte Planung des Brandschutzes und der Evakuierung bei einem derartigen Ereignis in den Tunnelröhren des Projekts in ihrem Recht auf Leben und Schutz der körperlichen Unversehrtheit nach Art. 2 GG als Bahnnutzer beeinträchtigt, da die bisherige Planung aus ihrer Sicht nach Auswertung der Unterlagen der Projektgesellschaft Stuttgart – Ulm (PSU) nicht im Geringsten den notwendigen Brandschutzvorschriften entspricht und im Falle eines Brandes die Antragsteller wie auch viele andere Bahnnutzer innerhalb weniger Minuten verbrennen oder durch die Rauchentwicklung zu Tode kommen werden. Entgegen dem Konzept der Vorhabenträgerin sehen sie keinerlei Möglichkeit, sich im Brandfall in einem Tunnel selbst unversehrt zu retten.

Die Antragsteller Hans Heydemann (Jahrgang 1939), Dieter Reicherter (Jahrgang 1947) und Dr. Werner Sauerborn (Jahrgang 1949), gehören auf Grund ihres Alters zu der in der Corona-Epidemie besonders in den Mittelpunkt gerückten Risikogruppe. Das gesellschaftliche Verständnis, Leben und Gesundheit der Angehörigen dieser Risikogruppe nachhaltig schützen zu wollen, hat zu nie zuvor erfolgten einschneidenden Maßnahmen geführt. Darüber bestand wegen des herausragenden Schutzbedürfnisses der Alten eine breite Übereinstimmung in Gesellschaft, Politik und Medizin. Diesen Erfordernissen hat auch die Vorhabenträgerin als im Eigentum des Bundes stehendes Verkehrsunternehmen Rechnung getragen, indem sie z.B. in ihren Zügen für mehr Platzangebote entsprechend der erforderlichen Hygienebedürfnisse sorgte und viele andere Maßnahmen zum Schutz dieser Gruppe von Reisenden traf.

Der Schutz von Leib und Leben aller Fahrgäste, insbesondere aber auch der Risikogruppe der älteren Menschen, gebietet zweifelsohne nicht nur bei einer Pandemie, sondern überhaupt beim Betrieb des Schienenverkehrs höchste Anstrengungen. Nicht nur gewährleistet der Bund gemäß Artikel 87 e Absatz 4 des Grundgesetzes, „dass dem Wohl der Allgemeinheit … beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes … Rechnung getragen wird“, sondern er hat die Vorhabenträgerin auch mit der Umsetzung dieser Garantie beauftragt. Die Vorhabenträgerin steht im alleinigen Eigentum des Bundes und ist daher ausdrücklich zum Grundrechtsschutz der Antragsteller verpflichtet.

Rechtsgrundlagen des Antrags:

Die rechtliche Prüfung des Antrags erfordert es zunächst, auf die Anwendbarkeit unterschiedlicher Vorschriften näher einzugehen. Angesichts der Rechtskraft einiger Planfeststellungsbeschlüsse sowie der diese ändernden Beschlüsse ist zunächst auf die rechtlichen Möglichkeiten des Eingriffs in diese Rechtskraft einzugehen.

  1. Die Bestimmungen über die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes, also auch eines Planfeststellungsbeschlusses, kommen nach §§ 48, 49 VwVfG neben der Spezialnorm des § 75 Abs. 2 VwVfG insbesondere zur Geltung, wenn zur gesetzlichen Entscheidung der Sache nachträgliche Schutzmaßnahmen nicht ausreichen, um Gefahren für grundrechtlich geschützte Rechtsgüter abzuwehren (Fischer, in Ziekow, Handbuch des Fachplanungsrechts, 2. Aufl. 2014, § 3 Rn.236 mit Verweis auf BVerwGE 105,6).
  2. Ein Anknüpfungspunkt für die Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbeschlusses ist die Auslagerung des Brandschutzes im Bescheid des EBA vom 23.04.2015.

Nach der Rechtsprechung des BVerwG ist die Auslagerung des Brandschutzes aus dem

Planfeststellungsverfahren zulässig, wenn „der Stand der Technik für die zu bewältigenden Probleme geeignete Lösungen zur Verfügung stellt. In diesem Fall reicht es aus, wenn sichergestellt ist, dass die entsprechenden technischen Regelwerke, in denen der Stand der Technik Ausdruck gefunden hat, beachtet werden.“ (BVerwG, Urt. v. 05.03.1997, Az.: 11 A 5/96, Rn.22). Es genügt, wenn sich die Planfeststellungsbehörde Gewissheit darüber verschafft, dass die Problematik beherrschbar ist und das notwendige Regelinstrumentarium bereitsteht (BVerwG, Urt. v. 08.06.1995 – Az.: 4 C/94, Rn. 34).

Vorliegend hat die Vorhabenträgerin von Brandschutz Planung Klinksch GmbH (BPK) ein Brandschutzkonzept aufstellen und von der Sachverständigengesellschaft Dr. Portz mbH überprüfen lassen. Nach Lage der Dinge wurde zwar im Rahmen der Planfeststellung einschließlich der Planänderungen auf den Brandschutz Bezug genommen und ein Brandschutz- und Rettungskonzept anhand DIN-Normen und EBA-Richtlinien ausgearbeitet.

Hierzu ist jedoch festzustellen, dass ein wesentliches Regelwerk nicht beachtet ist und der nicht unwahrscheinliche Brand im Tunnel auch, wie nachfolgend dargestellt, seitens der Vorhabenträgerin als nicht beherrschbar eingestuft wird. Bemerkenswert ist insoweit das auffällige Eingeständnis der DB, dass sie selbst für einen Brand im Tunnel als „worst case“ eine „kaum beherrschbare“ Problemlage zur Vermeidung von Todesgefahren feststellt, so Seite 4 des DB-Dokuments „Brand- und Katastrophenschutz in Eisenbahntunneln, Version 2.1“ vom Februar 2002:

Die DB AG weiß jedoch, dass es sich bei einem Brandfall im Tunnel nicht um einen so bezeichneten „worst case“ handelt, sondern in Wahrheit um einen durchaus wahrscheinlichen Fall (siehe brennender ICE bei Montabaur im Jahr 2018), der nach ihrer eigenen Aussage – wäre der Brand in einem Tunnel aufgetreten – „kaum“ beherrscht werden kann. Ausgangspunkt ihrer Planungen war die unzutreffende Behauptung, ICE-Züge könnten nicht in Brand geraten und im Tunnel in Brand geratene (andere) Züge könnten aus eigener Kraft noch aus einem Tunnel ins Freie fahren, um dort gelöscht werden zu können.

Zahlreiche Brandereignisse an Zügen und insbesondere die jüngsten Feststellungen zum Ablauf des ICE-Brandes bei Montabaur widerlegen beide Annahmen. Damit bestätigen sich die Vorwürfe eines dramatischen Versagens des Brandschutzes bei den bisherigen Planungen. Dass ein Zug – bei der Vielzahl von Tunnelstrecken bei Stuttgart 21 – auch in einem Eisenbahntunnel in Brand geraten und dort brennend liegen bleiben kann, ist somit keineswegs als „worst case“ zu bezeichnen. In der Anlage 1 haben wir zum Beweis alle bekanntgewordenen Zugbrände im Tunnel aufgelistet, in der Anlage 2 Brandereignisse bei Reisezügen und Bahnanlagen von 2000 bis 2020.

  1. Unter Berücksichtigung aller Umstände hätte die Genehmigungsbehörde das Rettungskonzept deshalb nicht ausklammern dürfen, sondern dieses wegen der Auswirkungen auf die bauliche Gestaltung vor Einleitung des Planfeststellungsverfahrens festlegen müssen. Die Notwendigkeit dieser im Regelwerk vorgesehenen Reihenfolge zeigt sich nun in den katastrophalen Mängeln des bisherigen Konzepts, die jetzt aufgedeckt wurden und unter II. aufgelistet werden.

Ausgangspunkt der rechtlichen Überlegungen hierzu:

  1. Die EBA-Tunnelrichtlinie S. 9 zu 1.3 Sicherheitsmaßnehmen, Rettungskonzept am Ende:
    „Die Ausgestaltung des Rettungskonzepts hat unmittelbaren Einfluss auf die bauliche Gestaltung des Tunnelbauwerks. Deshalb müssen die Einzelheiten vor Einleitung des Planfeststellungsverfahrens festgelegt sein.“Dies allein ist folgerichtig. Denn nur so kann sichergestellt werden, dass – wie nach dem anerkannten „Stand der Technik“ erforderlich – z.B. bei der zweiten Stammstrecke zur Münchener S-Bahn eine dritte Röhre als Rettungstunnel gebaut oder Querschläge zur Entfluchtung der Menschen in kürzeren Abständen geschaffen werden können. Wenn diese Planung nicht bereits im Planfeststellungsverfahren einbezogen wird, ist ein wirksames Rettungskonzept hinterher nicht mehr zu verwirklichen. Genau dies haben die Vorhabenträgerin und das EBA regelwidrig unterlassen und stattdessen den Eindruck erweckt, als gäbe es praktisch keine Eintrittswahrscheinlichkeit für einen als nicht beherrschbar bezeichneten Brandfall im Tunnel.
  2. Ferner ist das Ausklammern des Rettungskonzepts unvereinbar mit dem kumulativen negativen Zusammenwirken einzelner genehmigter Planfeststellungs-Abschnitte und deren „Restrisiken“. Weil dies nicht berücksichtigt worden ist, versagt das Brandschutzkonzept insgesamt. Dieser grundlegende Ansatz entspricht der systematischen und der verfassungskonformen Gesetzesauslegung und findet sich bestätigt in der mittlerweile als dringlich anerkannten „Wirk-Prinzip-Prüfung“. Damit wird auch nachgewiesen, dass es nicht nur auf Einzelkomponenten, sondern auch auf das Gesamtsystem ankommt.Die brandschutzrechtlichen Genehmigungen werden an § 4 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 2 AEG, § 2 Abs. 1 S. 1 EBO in Verb. mit den Normen, die den Stand der Technik abbilden (DIN-Normen, EBA-Richtlinien etc.), festgemacht, die klassisch der Gefahrenabwehr, nicht aber der Risikovorsorge dienen. Sie haben also nicht im Blick, wenn sich Gefahren „lediglich im Verbund mit anderen schädlichen Abläufen“ ergeben (siehe zur Entwicklung der Schutzpflichten-Dimension der Grundrechte BVerfG, Beschl. v. 14.01.1981, Az: 1 BvR 612/72, Rn. 52 – juris m.w.N.). Wenn man die höchste Priorität des Schutzes von Leib und Leben der Menschen – die vitale Basis aller Grundrechte – anerkennt (die einschneidenden Maßnahmen gegen den Corona-Virus stützen sich darauf), darf die Risikovorsorge bei den grundlegenden Weichenstellungen für das Großprojekt Stuttgart 21 keinesfalls ausgeklammert und damit trotz gewaltiger Wirkung für die Betroffenen ignoriert werden.

    So hat das BVerfG zum Atomgesetz festgestellt, die gesetzliche Entscheidung, ob Normen nicht nur der Gefahrenabwehr, sondern auch der Risikovorsorge dienen, hänge „von der Art, der Nähe und dem Ausmaß möglicher Gefahren, der Art und dem Rang des verfassungsrechtlich geschützten Rechtsguts sowie von den schon vorhandenen Regelungen ab“ (BVerfG, Beschl. V. 08.08.1978, Az.: 2 BvL 8/77, Rn. 117 – juris). Das bestärkt verfassungskonform die Risikovorsorge bei der Anwendung eisenbahnrechtlicher Regelungen.

    Für einen Risikovorsorgegehalt in § 4 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 2 AEG, § 2 Abs. 1 S. 1 EBO spricht auch der ihnen zugrunde liegende Art. 4 Abs. 1 lit. A) der Richtlinie (EU) 2016/798 („Verhütung von Unfällen“). Der Sinn und Zweck des § 4 AEG ist demgemäß neben der Gefahrenabwehr auch die Risikoreduzierung (so auch Hermes/Schweinsberg, in: Hermes/ Sellner (Hrsg.), AEG, 2. Auflage 2014, § 4 Rn. 50).

    Würde die Planfeststellungsbehörde die somit zu beachtende Risikokumulation bei brandschutzrechtlichen Genehmigungen nicht in die erforderliche Abwägung einbeziehen, würde sie die negative Wechselwirkung verschiedener Risiken sehenden Auges in Kauf nehmen. Dies kann im Sinne der rechtsstaatlich gebotenen Effizienz der Grundrechte nicht rechtens sein. Das Zusammenspiel der Faktoren muss also bei jeder Genehmigung beachtet werden. Allerdings liegt es im pflichtgemäßen behördlichen Ermessen, ob das zulässige Restrisiko durch Risikoakkumulation überschritten wurde, speziell dann, wenn es um die Beachtung der Grundrechte geht.

    Die Behörde muss zunächst alle für ihre Ermessensausübung einschlägigen Belange als solche erkennen. In einem zweiten Schritt müsste sie diese korrekt abstrakt bewerten, um sie anschließend entsprechend ihrer Bedeutung ins Verhältnis zueinander zu bringen. Dass die körperliche Unversehrtheit und das Recht auf Leben grundrechtlichen Schutz beanspruchen, muss dabei in den letzten beiden Abwägungsschritten beachtet werden. Die Ausübung dieses Ermessens muss dargelegt werden und nachvollziehbar sein.

    Vorliegend handelt es sich wegen tatsächlicher Fehlerhaftigkeit des Rettungskonzeptes und tatsächlich bestehender erheblicher Gefahr für Leben und Gesundheit im Falle der Notwendigkeit einer Evakuierung im Tunnel im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 GG um einen Fall der Ermessensreduzierung auf Null und damit eines Anspruchs auf Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses (vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, Rn. 102a).

    Zwar ist eine Ermessensreduzierung auf Null sehr restriktiv und nur im Ausnahmefall anzunehmen (vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, Rn. 102b). Insbesondere hier bei Gefährdung besonders wichtiger Güter wie Leben und Gesundheit (vgl. Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, Rn. 131) schrumpft jedoch das Ermessen angesichts des überragenden Gewichts des Grundrechtsschutzes und der mit dem bisherigen Konzept nicht beherrschbaren Risiken auf Null.

  1. Das Brandschutz- und Rettungskonzept der DB und die diesem folgende Einschätzung des EBA sind fehlerhaft. Sie beruhen auf einer Missachtung der EBA-Tunnelrichtlinie sowie auf der Fehlentscheidung durch Ausklammern der Bauausführung. Dieses Ausklammern führt angesichts der Häufung von Risikofaktoren und der daraus folgenden enormen Gefährdung höchster Grundwerte von Leib und Leben der Bahnreisenden zu einer ausweglosen Lage bei einen Brand im Tunnel.
  2. Im Sinne von § 18 Abs. 1 S. 3 AEG i.V. mit § 75 Abs. 1 a VwVfG sind Mängel bei der Abwägung der vom Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange nur erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind. Vorrangig ist in diesem Falle die Planergänzung nach Ziffer a) des oben gestellten Antrags.

Die Offensichtlichkeit des Mangels betrifft die äußere Seite der Abwägung, insbesondere Fehler, die sich aus Unterlagen ergeben (Fischer aaO, § 3 Rn.214 m.w.N.), wobei konkrete Anhaltspunkte dafür genügen können (Wickel, in: Fehling/Kastner/Störmer, VwVfG, 3. Aufl. 2013, § 75 Rn. 46, mit Verweis auf BVerwG, Beschl. v. 15.05.1996 – Az.: 11 VR 3/96). Ein eindeutiger Regelverstoß spricht für den offensichtlichen Mangel.

So liegt der Fall hier.

Dazu ist festzustellen:

  1. Der DB AG war als Vorhabenträgerin durchaus bewusst, dass sie den Brandschutz der Bahnreisenden und ihrer Bediensteten auf 59 km Tunnelstrecke des Projekts Stuttgart 21 „nicht zielführend“ erreichen kann. Darüber hat sie die Genehmigungsbehörde getäuscht, um eine rechtswidrige Genehmigung zu erlangen. Denn die Fehlerhaftigkeit ihres Konzepts war aufgrund unzutreffender Annahmen offensichtlich. Obwohl ein Zugbrand im Tunnel durchaus nicht unwahrscheinlich ist, hat sie diesen nur als „worst case“ mit nicht beherrschbarem Verlauf angenommen und nicht als realistische Gefahr eingeplant, wie oben in Ziffer 2 zitiert und von ihr eingestanden (Gleiches gilt für ein Anhalten eines brennenden Zuges im Tunnel). Dies ist ein typischer, offensichtlich erheblicher Mangel, der dadurch aus dem Planfeststellungsverfahren bewusst ausgeklammert wurde.
  2. Die Nichtbeachtung der EBA-Tunnelrichtlinie durch das EBA ist offensichtlich rechtswidrig. Sie ist von der Vorhabenträgerin offenkundig bezweckt, um ein kaum beherrschbares Brandschutzproblem bis zur Inbetriebnahme von Stuttgart 21 zurückzustellen und vollendete Tatsachen für das Projekt zu schaffen.
  3. Nach der oben zitierten Rechtsprechung des BVerwG ist zwar das Ausklammern des Brandschutzes aus der Planfeststellung grundsätzlich zulässig, nicht aber unter Verstoß gegen die EBA-Tunnelrichtlinie und nicht, wenn eine nicht beherrschbare Situation beim Brand des Zuges im Tunnel zu erwarten ist. Diese Ausgangslage ist hier vorhanden und führt dazu, dass das EBA durch Beseitigung der Rechtsverstöße gemäß § 48 Abs. 2 Satz 3, insbes. Ziffer 1-3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nachträglich für Abhilfe zu sorgen hat. II. Faktenprüfung nach heutigem Sachstand:
  1. Grundlagen der Erkenntnisse:

Im Zuge eines Prozesses gegen die DB PSU auf Akteneinsicht nach dem Umweltinformationsgesetz hat Dipl.-Ing. Wolfgang Jakubeit am 4.12.2019 vor dem VGH Mannheim einen Vergleich erzielt, mit dem ihm und seinem Expertenteam zum Bahnprojekt Stuttgart 21 der Zugang zur „Folie 11“ (Anlage 3) und zur „Tunnelsimulation“ der Gruner AG ermöglicht wurde. Aufzuklären war, wie sich nach den Unterlagen zur Tunnelsimulation ein Brand in einem mit 1757 Menschen voll besetzten ICE auswirkt.

Nach Monaten intensiver Prüfung haben die Experten die Ergebnisse im Schreiben vom 27.04.2020 an die DB PSU, Herrn Dr. Florian Bitzer – nachrichtlich auch an Sie – eindringlich dargestellt, siehe Anlage 4. Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 und die Fachgruppe Ingenieure 22 haben dazu öffentlich kritisch Stellung bezogen und bereits angekündigt, Sie damit zu befassen.

Einleitend verweisen wir auf das grundsätzliche Problem, dass naturgemäß derartige Simulationen von Vornherein den realistischen Übungen unterlegen sind. Sie können die Wirklichkeit nur dann annähernd zutreffend abbilden, wenn die angesetzten Parameter nachvollziehbar und zutreffend sind. Daran fehlt es hier.

Beispielhaft wird auf den Ablauf einer tatsächlich erfolgten Evakuierung verwiesen, wie sie der Verkehrsberater Karlheinz Rößler in seinem Erfahrungsbericht vom 16.9.2019 schildert (Anlage 5).

Die Fehlerhaftigkeit der Planungen bei Stuttgart 21 wird eindringlich durch eine Einsatzübung am 22.06.2019 zum Brandschutz am Fleckbergtunnel in Thüringen bewiesen, bei der man von völlig anderen Annahmen ausging (Anlage 6). Offensichtlich wurde bei der Planung der Übung sorgfältiger vorgegangen als beim Brandschutz- und Rettungskonzept S 21, denn die Annahmen sind weit realistischer als das Konzept bei Stuttgart 21:

Die Übung in Thüringen fand mit nur 300 zu rettenden Menschen statt, während bei Stuttgart 21 bis zu 1757 Zuginsassen im Notfall zu retten sein werden. Bei der Übung wurden über 1000 Rettungskräfte eingesetzt.

Trotz der viel günstigeren tatsächlichen und zahlenmäßigen Voraussetzungen der Übung im Vergleich zu Stuttgart 21 ging die Planung davon aus, dass ca. 240 Menschen, also nur 80 % der 300 Zuginsassen, sich selbst würden retten können. Die restlichen 20 % sollten durch Fremdrettung, die bei S21 in der Ereignisröhre nicht möglich ist, geborgen werden.

Die Verhältnisse im Fleckbergtunnel sind überdies in Bezug auf einen Rettungseinsatz im Brandfall deutlich günstiger als beispielsweise im Fildertunnel bei Stuttgart 21.

  • Der Fleckbergtunnel ist zweigleisig und bietet daher weitaus günstigere Voraussetzungen für eine Fremdrettung.
  • Er ist nur 1490 m lang (Fildertunnel fast 10 km).
  • Es besteht ein Notausgangsstollen direkt ins Freie, der für Rettungs- und Feuerwehrfahrzeuge befahrbar ist.
  • Es sind drei Rettungsplätze im Freien vorhanden.
  • Das Rettungskonzept sieht im Ereignistunnel Selbst- und Fremdrettung mit ungehinderter Zufahrt vor.
  • Der erhebliche Zeitverlust durch Passieren einer Schleuse aus der Ereignisröhre in die sichere Röhre entfällt.

All das fehlt beim wesentlich komplizierteren Projekt S 21.

Schon ohne Berücksichtigung aller die Rettung bei Stuttgart 21 drastisch erschwerender Umstände würde ein Brand in einem S21-Tunnel bei 1757 Zuginsassen mit einer Quote von 20%, die sich nicht selbst retten können, bereits den Tod von über 350 Menschen bedeuten.

Als Ergebnis der Erkenntnisse zur Rettung aus Eisenbahntunneln – insbesondere in Thüringen – ist auch festzuhalten, dass die Rettungsplätze in Stuttgart mit „mindestens 1.500 m²“ zu klein sind und in entsprechender Anwendung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig, Az. BVerwG 3A 5.16, vom 28.02.2019 auf jeweils 3.000 m² zu vergrößern sind. Das BVerwG hat insoweit den Planfeststellungsbeschluss zum Tunnel Goldberg in Thüringen aufgehoben. Ferner wurde vom BVerwG ausgeführt: „Ein Land kann gemäß § 42 Abs. 2 VwGO gegen die Planfeststellung eines Rettungsplatzes an einem Eisenbahntunnel geltend machen, dass ihm wegen einer zu kleinen Rettungsplatzfläche die Erfüllung seiner Aufgaben im Brand- und Katastrophenschutz wesentlich erschwert wird.“

Im Gegensatz zum Land Thüringen übernimmt das Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration Baden-Württemberg als Oberste Brandschutzbehörde ausweislich seines Schreibens, Az. 6-1541.0/0 vom 20.03.2020, an Dipl.-Ing. Wolfgang Jakubeit (siehe Anlage 7) für die Erfüllung seiner Aufgaben im Brand- und Katastrophenschutz in einem derart umfangreichen, brandschutz- und entfluchtungstechnisch besonders schwierigen und insoweit auch außergewöhnlichem Projekt keinerlei Verantwortung.

Die Verweigerung des Innenministers ist umso unverständlicher als die S 21-Tunnel bei praktisch allen sicherheitsrelevanten Parametern gleichzeitig Höchstrisikopositionen belegen.

Hierzu wird auf die Auswertung von Wikireal.org und der Ingenieure22 (Anlage 8) verwiesen.

  1. Entstehungsgeschichte der Simulationen:

Es fehlt dem Großbauvorhaben S 21 an einem ganzheitlichen Einsatz- und Rettungskonzept.

Denn im S 21-Brandschutzkonzept fehlt jegliche Analyse von Schwachpunkten und die Berücksichtigung der Ergebnisse von Brandschutzübungen an vorhandenen Tunnelbauwerken wie z.B. in Thüringen (siehe vorstehend).

Mit Schreiben vom 14.05.2012 an die DB PSU hatte das für den Brand- u. Katastrophenschutz zuständige Referat des Regierungspräsidiums Stuttgart (RPS) beanstandet, dass die von der Bahn zugesagte Offenlegung „aller für die Bewertung erforderlichen Unterlagen, Berechnungsgrundlagen und Simulations-Ergebnisse bis Ende April 2012“ nicht eingehalten wurde.

Ausdrücklich wurden dazu vom RPS folgende Nachweise genannt, die von der Bahn nicht beigebracht worden waren:

  • Entrauchungssimulation Tiefbahnhof
  • Entfluchtungssimulation Tiefbahnhof
  • Löschwasserversorgung und Einsatzkonzept Tiefbahnhof (53 MW-Brand)
  • Nachweis einer sicheren Trennung der Tunnel in den Übergangsbereichen einröhrig/zweiröhrig im Hinblick auf die jeweiligen (unterschiedlichen) Sicherheitskonzepte
  • Entfluchtungssimulation Zug im Tunnel einschließlich Nachweis der Verhinderung von Rauchübertritt in den Querschlägen
  • Nachweis der Rauch- und Abgasabführung (Löschfahrzeuge, Aggregate) in der nicht betroffenen Tunnelröhre
  • Nachweis einer funktionierenden Löschwasserversorgung in allen Tunneln (max. 15 min nach Alarmeingang im gesamten Tunnel)

Erst zwei Jahre später, am 22.01.2014, hatte Herr Bieger, DB PSU, den Vertretern der Branddirektion Stuttgart und dem RPS anhand jener „Folie11“ mit unzutreffender Handrechnung die Entfluchtung eines Zuges im Tunnel erläutert. Die zugehörige Simulationsrechnung der Gruner AG zur Entfluchtung folgte erst im Juni 2014 – entgegen dem Inhalt des den Antragstellern vorliegenden Protokolls (Anlage 9) – und ist in vielen Annahmen falsch. Dieses Besprechungsprotokoll des Arbeitskreises Brandschutz Projekt Stuttgart – Ulm vom 22.1.2014 zeigt im Übrigen ein völliges Versagen der Beteiligten bei der Übernahme von Verantwortung für Leben und Gesundheit der ihrer Planung anvertrauten Fahrgäste, Bahnbediensteten und Rettungskräfte. Nicht nur wird dem Drängen des Vertreters der DB AG nachgegeben und akzeptiert, dass die Ergebnisse der Simulationen zur Evakuierung im Tunnel im Brandfall „auf keinen Fall so veröffentlicht“ werden sollen (Ziffer 5 des Protokolls) und dadurch jegliches Vertrauen in die Transparenz der Planungen zerstört. Vielmehr wird auch in unverantwortlicher Weise hingenommen, dass die Deutsche Bahn die zwingende Forderung der Branddirektion ablehnt, für die Anlagen des Hauptbahnhofes, der S- und U-Bahn sowie die Arnulf-Klett-Passage zusammen mit dem nördlichen Bahnhofsgebäude für den Gefahrenfall durch ein einheitliches Notfallmanagement die Gefahrenabwehr zu organisieren. Zur Forderung der Branddirektion, hierzu „die organisatorischen wie auch technischen Voraussetzungen (wie z.B. Notfallpläne, Organisation, Durchsageeinrichtung zur Personenlenkung) herzustellen“, beruft sich die DB AG darauf, sie habe ein eigenes Notfallmanagement und sei nicht verantwortlich für das Notfallmanagement der SSB oder der Stadt. Diese Ablehnung eines von der Branddirektion als zwingend bezeichneten einheitlichen Notfallmanagements wird widerspruchslos hingenommen (Ziffer 9, Punkt 16 des Protokolls).

Endlich zweieinhalb Jahre nach der Monierung durch das RPS wurde am 24.11.2014 vom Schweizer Ingenieurbüro HBI (Haerter Beratende Ingenieure/ Bern) die „Entwurfs- und Genehmigungsplanung der Entrauchungsanlagen für die Planfeststellungsabschnitte 1.1/ 1.2/ 1.5/ 1.6a“ vorgelegt. Diese Unterlage enthält den vom Regierungspräsidium Stuttgart geforderten Nachweis der Verhinderung von Rauchübertritt in die Querschläge jedoch nicht.

  1. Im Einzelnen zum Brandschutzkonzept bei S 21:

Folgende besonders ungünstige Umstände wurden im Rahmen des Gesamtkonzeptes nicht bzw. nicht ausreichend berücksichtigt:

  • Bei einem schweren Brandereignis wird die Fremdrettung von Personen, welche die Ereignisröhre nicht rechtzeitig aus eigener Kraft verlassen konnten, nicht möglich sein. Diese Personen werden wegen der viel zu langen Anmarschzeiten der Rettungskräfte bereits im Brandrauch umgekommen sein.
  • Als zur Verfügung stehende Selbstrettungszeit wurden 15 Minuten angesetzt. Diese Zeit steht jedoch überhaupt nicht zur Verfügung, weil sich im Brandfall der Rauch viel schneller ausbreitet und die enthaltenen Giftgase viel schneller eine tödliche Konzentration erreichen.
  • Der Simulation von Gruner wurden bei allen Parametern die jeweils günstigsten Werte zugrunde gelegt, weil sonst selbst die mit 15 Minuten viel zu hoch angesetzte Selbstrettungszeit schon rein rechnerisch nicht hätte eingehalten werden können. Dieses Vorgehen verschleiert die tatsächlich zu berücksichtigenden kumulierenden Gefahren im Brandfall des speziell durch seine Vielzahl von Tunnelstrecken und unterirdischen Bahnhöfen gekennzeichneten Projekts.
  • In der Simulation wird unterstellt, dass der brennende ICE mittig zwischen 2 Rettungsstollen (Abstand 500 m) zum Stehen kommt und daher bis zum nächstgelegenen Querstollen höchstens 250 m zu bewältigen sind. Dabei wird offensichtlich ignoriert, dass der nächstliegende Rettungsstollen durch aufsteigende Rauchentwicklung oder den brennenden Zug selbst versperrt sein könnte, wodurch sich der Fluchtweg dann auf bis zu 500 m erhöhen würde.
  • Erschwerend kommt im Fall der Verdoppelung des Fluchtwegs auf bis zu 500 Meter die Geschwindigkeit der Rauchausbreitung hinzu. Für einen Fluchtweg von 500 Metern steht nicht genügend Zeit zur Verfügung, denn die Flüchtenden werden weit früher von den tödlichen Rauchgasen eingeholt. Ohnehin ist in einer Paniksituation mit irrationalen Verhaltensweisen der Flüchtenden zu rechnen bis hin zu der Möglichkeit, dass alle Reisenden durch einen einzigen Rettungsstollen flüchten, auch wenn der zweite nicht versperrt sein sollte. Dies würde die Fluchtzeit ebenfalls verlängern und noch mehr Panik verursachen.
  • Für die Berechnung der benötigten Zeit, um im Zuginnern zu den Türen zu gelangen, wurde die Simulation programmbedingt mit einem ICE ohne Sitze durchgeführt; ein indiskutables Vorgehen, welches nichts mit tatsächlich gegebenen Situationen bei der raschen Entfluchtung eines in Brand geratenen Zuges zu tun hat.
  • Der bei dem alternativ zu untersuchenden Brand eines Doppelstockzuges entstehende Rückstau an den Treppen zwischen den beiden Etagen wurde nicht eingeplant.
  • Die Ausstiegshöhe von den Zugtüren zu den Fluchtwegen beträgt über 90 cm, was für die meisten Menschen problematisch und für kleine Kinder, Ältere sowie Behinderte und Mobilitätseingeschränkte ohne fremde Hilfe unüberwindbar ist. Den Simulationen von Gruner wurde dennoch zugrunde gelegt, dass alle 1.757 Zuginsassen innerhalb von nur 2 Minuten über die im Zug mitgeführten Trittleitern aussteigen.
  • Bei der Simulation des Ausstiegs über Trittleitern wurde nicht berücksichtigt, dass die vier Zugbegleiter die in den Wagendecken eines ICE 3 verstauten Trittleitern erst hervorholen und dann im Gedränge der Wartenden an den weit entfernten Wagentüren anbringen müssen, bevor das Verlassen des Zugs überhaupt möglich ist.
  • Die von Gruner durchgeführte Simulation sieht den Ausstieg für alle 1.757 Insassen über Trittleitern an allen 16 Wagen vor. Dabei wurde jedoch nicht bedacht, dass ein ICE 3 insgesamt nur 4 solcher Trittleitern mit sich führt, nämlich nur im jeweils ersten und letzten Wagen eines Zugteils. Somit muss der Ausstieg aus allen übrigen Wagen ohne Zuhilfenahme von Trittleitern aus einer Höhe von über 90 cm erfolgen.
  • Soweit überhaupt Rettungsleitern rechtzeitig angebracht werden können, behindern diese die Flüchtenden aus den dahinter liegenden Zugabteilen. Dies gilt insbesondere für Behinderte mit Gehhilfen oder gar Rollstühlen. Denn die Leitern ragen in den Fluchtweg und verengen diesen zusätzlich.
  • Die Fluchtgeschwindigkeit vom Zug zum Querschlag wurde in der Simulation mit 1,34 m/ sec, also 80,4 m/min, angesetzt, obwohl das Regelwerk NFPA 130 weniger als die Hälfte, nämlich nur 38 m/min vorsieht. Denn auf den engen Fluchtwegen von nur 120 cm Breite, die teilweise sogar bis auf ca. 60 cm verengt sind, bestimmen die Langsamsten das Tempo und können nicht überholt werden.
  • Auch der durch die engen Fluchtwege bewirkte Rückstau wurde nicht berücksichtigt. Nach den Richtlinien der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes benötigen die 1.757 Personen bei einer Fluchtwegbreite von hindernisbedingt nicht einmal durchgehend vorhandenen 120 cm eine erhebliche zusätzliche Zeitspanne zum Passieren der Engstellen.
  • Obwohl selbst im günstigsten Fall bei einem mit 1.757 Personen voll besetzten Zug bei gleichmäßiger Aufteilung der Flüchtenden auf jeden Querschlag fast 900 Menschen durch jede der beiden Schleusen in die zweite Tunnelröhre fliehen müssen, wurden in der Folie 11 pro Schleuse nur mit 600 Personen gerechnet. Das Passieren der Schleusen dauert also selbst im günstigsten Fall 50 % länger als eingeplant. „In der Simulation wurden 800 Personen je Schleuse berücksichtigt; die übrigen ca. 160 Personen teilen sich annahmegemäß auf die jeweils 500 m entfernten Notausgänge auf, um längere Wartezeiten zu vermeiden“, wie es im Gruner-Bericht heißt. Damit wurden jedoch die Entfluchtungszeiten unzulässigerweise nach unten manipuliert.
  • Nicht berücksichtigt wurde, dass erst dann in die zweite Röhre gewechselt werden kann, wenn der Bahnverkehr in der zweiten Röhre eingestellt ist. Nach überschlägiger Analyse dauert es mindestens 7 bis 8 Minuten ab Eingang der Brandmeldung bei der Fahrdienstleitung, bis die rettende zweite Tunnelröhre leergefahren ist. Erst dann kann diese über die Rettungsschleuse betreten werden. Das ist unannehmbar lange. Sollte indessen die Lage des Brandes und die Rauchausbreitung das rasche Erreichen eines nähergelegenen Rettungsstollens erlauben, ergibt sich eine widersinnige Situation: Je näher die Rettungsschleuse liegt und je früher die ersten Flüchtenden dort eintreffen, desto mehr Flüchtende stauen sich wegen der noch nicht leergefahrenen Rettungsröhre vor dem noch verschlossenen Schleusenausgang. Die Folge ist wiederum Panik unter den Nachdrängenden.
  • Eben dieses durch die Rauchausbreitung hervorgerufene „Panikverhalten“ der Flüchtenden, insbesondere beim vorprogrammierten Stau, bleibt in den Simulationen gänzlich unberücksichtigt. Auch die Zeit bis zum Beginn der Fremdrettung ist unvertretbar lange.
  • Wie Feuerwehrchef Dr. Frank Knödler, Branddirektion Stuttgart, in seinem Brief vom 30.08.2019 (Anlage 10) zutreffend ausführt, muss im Brandfall erst die Parallelröhre der betroffenen Röhre freigefahren werden. Nur durch diese „Sichere Röhre“ können dann die Rettungskräfte die Nähe des Brandortes erreichen und ausschließlich in der Sicheren Röhre Maßnahmen der Fremdrettung ergreifen. „Bevor die parallele Röhre nicht freigefahren ist, kann auch kein Einsatz der Feuerwehr im Tunnel stattfinden, da ein Vorbeifahren der Feuerwehrfahrzeuge an einem Zug im Tunnel nicht möglich ist.“

Ferner müssen auch alle intakten Züge aus der Ereignisröhre ausfahren. Erst anschließend „wird die Oberleitung abgeschaltet und bahngeerdet“.

Dabei ist einzukalkulieren, dass die vollständige Räumung der Ereignisröhre nur über Rückwärtsfahrt der dem in Brand geratenen Zug nachfolgenden Züge erfolgen kann, was zu einer erheblichen Verzögerung beim Leerfahren führen wird.

Bei dem geplanten S-Bahn-artigen Zugverkehr im Fünfminutenabstand geht es um eine erhebliche Anzahl von Zügen, die zunächst aus beiden Röhren gefahren werden müssen.

  1. Dauer bis zum Erreichen der „Sicheren Röhre“:

Beim Brandschutz- und Rettungskonzept für das Projekt Stuttgart 21 wurden, wie bereits dargelegt, für alle Parameter die bestmöglichen Verhältnisse unterstellt, um überhaupt eine Entfluchtung, namentlich im besonders gefährlichen Fildertunnel, darstellen zu können. Dies zeigt wiederum die Folie 11 der Bahn, die aufgrund der Gruner-Expertise mit unrealistischen Fluchtdauern unterlegt ist.

Bestätigt wird diese Erkenntnis durch den Vergleich zu einem tatsächlichen Brandereignis:

Beim ICE-Brand bei Montabaur am 12.10.2018 dauerte die vollständige Räumung des brennenden Zugs mit nur 500 Fahrgästen 45 Minuten – auf einer freien Strecke! Dies wiederum passt zum oben erwähnten Erfahrungsbericht des Karlheinz Rößler.

Die bei Stuttgart 21 bahnseitig behaupteten 15 Minuten Zeit bis zur Räumung der Ereignisröhre (von 1.757 mit Sicherheit panischen Fahrgästen) sind deswegen selbst bei einem nicht voll besetzten Zug völlig unrealistisch. Die tatsächlich bei einem Zugbrand im Tunnel erreichbaren Fluchtdauern sind realistisch mindestens dreimal so hoch und damit viel zu lang, um eine Vielzahl von Toten und Verletzten zu vermeiden. Dabei sind die Erschwernisse durch Verengungen des nur 1,20 m breiten Fluchtstreifens sowie durch ausbrechende Panik und vor allem durch behinderte Fahrgäste, die auf Gehhilfen oder Rollstühle angewiesen sind, noch gar nicht berücksichtigt. Diese geraten bei einem brennend im Tunnel steckenbleibenden Zug in eine völlig ausweglose Lage!

  1. Drastische Verkürzung der Evakuierungszeit durch Rauchgase:
  • Als Hauptmangel des Brandschutz- und Rettungskonzeptes ist zu beanstanden, dass es keine Aussagen zur Rauchausbreitung bei der Entfluchtung gibt. Diese wurde überhaupt nicht untersucht. Deswegen wurde fälschlich angenommen, zur Evakuierung im Brandfall stünden 15 Minuten zur Verfügung.
  • Der bei einem Zugbrand im engen S21-Tunnel freigesetzte Brandrauch breitet sich mit 2,5 – 3 m/s aus; das ist gut dreimal schneller als die mögliche Fluchtgeschwindigkeit der Menschen. Schon nach einer Minute hat sich demnach der Rauch um mindestens 150 m ausgebreitet, nach drei Minuten auf mindestens 450 m. Die Flüchtenden werden daher vom tödlichen Rauchgas eingeholt und kommen darin zu Tode, bevor die Rettungsstollen erreicht werden können. Die in den Simulationen angesetzten 15 Minuten für eine Selbstrettung stehen daher in Wahrheit nicht zur Verfügung. Das Szenario ist völlig realitätsfremd. Empirische Erfahrungen zeigen, dass bereits kurz nach Evakuierungsbeginn für alle Fahrgäste und Bahn-Mitarbeiter des Zuges, also für bis zu 1.757 Personen, akute Lebensgefahr durch den sich rasch ausbreitenden Rauch besteht. Das Todesrisiko liegt wegen der viel zu langen Entfluchtungszeit bei nahezu 100%!
  1. Rauchausbreitung im Brandfall in einem Tunnel:

Bleibt ein brennender Zug im Tunnel liegen, so wirkt sich zunächst die vom Zug hervorgerufene starke Luftströmung auf die Rauchausbreitung aus. Die Rauchschicht wird dadurch in Fahrtrichtung des Zuges mitgezogen. In der zur Tiefbahnhaltestelle führenden Zufahrt-Tunnelröhre wird der Rauch auf eine große Strecke entgegen der Auftriebswirkung mitgetragen, bis die Luftströmung abebbt und der Auftrieb überwiegt, so dass sich die Rauchgas-Strömung umkehrt und nun in Richtung Tunnelausgang treibt.

Das Einblasen von Luft in die südlichen Tunneläste „Fildertunnel“ und „Ober-/Untertürkheimer

Tunnel“ zum Abdrängen des Brandrauches in Richtung Tunnelmund erfolgt erst mit erheblicher Zeitverzögerung. Der Lokführer muss zuvor den festgestellten Brand und den Standort des Zuges über Zugfunk an die Leitstelle (für Stuttgart künftig in Karlsruhe!) melden. Dort muss die zugeordnete Entrauchungsanlage mittels Fernschaltbefehl zuschalten (2 Minuten). Anschließend müssen die Großlüfter (Antriebsleistung je etwa 1,3 MW) erst auf Volllast hochfahren (3 – 4 Minuten), ehe die Zuluft in die Tunnel geblasen werden kann. Sodann muss im Tunnel zunächst die darin stehende Luftmasse (500 t) in Richtung Tunnelausgang in Bewegung gesetzt und eine Strömung aufgebaut werden. Je nach Entfernung des Brandherdes im liegengebliebenen Zug wird dies bis zu einer halben Stunde und mehr dauern.

So wird bei einem Brandort auf halber Strecke des Fildertunnels (rd. 5.000 m) mit der vom Gutachter HBI als notwendig angesetzten „kritischen Strömungsgeschwindigkeit“ von 2,5 m/s eine Zeitspanne von 2.000 Sekunden = 33 Minuten benötigt, bis dieser vom Zuluftstrom erreicht wird. Insgesamt werden ca. 39 Minuten vergehen, ehe die eingeblasene Zuluft den Brandort erreicht. Dann wird die eingeblasene Zuluft nichts mehr zur Rettung von Personen beitragen können.

Entsprechendes gilt für das gezielte Absaugen von Rauchgas in den Nordtunnel-Ästen über die Entrauchungsbauwerke „Prag“ und „Heilbronner Straße“.

Das alles ist weder im Bericht „Entwurfs- und Genehmigungsplanung der Entrauchungs-Anlagen PFA 1.1/ 1.2/ 1.5/ 1.6a“ des Schweizer Ingenieurbüro HBI Haerter Beratende Ingenieure/ Bern vom 24.11.2014 noch im Bericht „Sicherheits- und Rettungskonzept Tunnelspinne Stuttgart“ der Gruner AG vom 10.08.2016 berücksichtigt.

  1. Verhinderung von Rauchübertritt in die „Sichere Röhre“:

Die Notwendigkeit, den Übertritt von Brandrauch aus der Ereignisröhre über die Rettungsstollen in die sogenannte „Sichere Röhre“ zu unterbinden, wurde erstmals bei der „S21-Fakten-Schlichtung“ thematisiert.

In der am 24.11.2014 vom Schweizer Ingenieurbüro HBI Haerter Beratende Ingenieure/ Bern vorgelegten „Entwurfs- und Genehmigungsplanung der Entrauchungsanlagen PFA 1.1/ 1.2/ 1.5/ 1.6a“ heißt es bzgl. der Verhinderung von Rauchübertritt in die „Sichere Röhre“ lediglich in der „Zusammenfassung“ unter „Ergebnisse der Simulationen“ auf S. 5:

„Mit den ermittelten Strömungsverhältnissen kann praktisch ausgeschlossen werden, dass es

Rückströmungen von Rauch aus Ereignis- in Nichtereignisröhren gibt, da die kritische Geschwindigkeit überschritten wird. Die Luftgeschwindigkeiten in den Tunnelästen Richtung Unter- und Obertürkheim unterschreiten die kritische Geschwindigkeit deutlicher, jedoch führt hier das Rückströmen nicht zur Verrauchung der Gegenröhre.

Tatsächlich aber ergibt sich aus dem Bericht anderes, nämlich dass ein Rauchübertritt von der Ereignisröhre in die „Sichere Röhre“ dennoch nicht ausgeschlossen bzw. verhindert werden kann; dafür seien die durchgeführten Berechnungen zu ungenau und mit Unsicherheiten behaftet.

So heißt es dazu im Abschnitt 7.3.2 „Ergebnisgenauigkeit“ auf S. 70 u. 71:

„Aufgrund der Unsicherheiten und Parametervielzahl kann die Genauigkeit der Berechnungen nur grob abgeschätzt werden. … Zusammenfassend gilt, dass die Simulationsergebnisse mit Unsicherheiten behaftet sind.“

Eine Simulation der Rauchausbreitung im Tunnel, die zur Klärung eines möglichen Rauchübertritts in die „Sichere Röhre“ unabdingbar gewesen wäre, wurde in dieser Studie von HBI nicht geliefert. HBI hat sich auf die Ermittlung der Luftströme und – Geschwindigkeiten in den einzelnen Tunnelästen beschränkt und begründet ohne weiteren Nachweis, ein Rauchübertritt sei bei Einhaltung der „kritischen Luftgeschwindigkeit von 2,5 m/s“ auszuschließen. Diese Schlussfolgerung ist jedoch strömungstechnisch und physikalisch nicht haltbar – der Übertritt von Brandrauch hängt nicht von der Strömungsgeschwindigkeit im Tunnel ab, sondern von einem vorhandenen Druckunterschied zwischen beiden Röhren. Dafür reichen bereits sehr geringe Druckunterschiede von ein paar N/m², die von HBI gar nicht ermittelt worden sind und nach eigenem Bekunden von HBI aufgrund der Rechenungenauigkeiten auch gar nicht ermittelbar sind.

Folgerichtig räumt HBI im Abschnitt 18.4 „Qualitative Betrachtungen zur Sicherheit“ auf Seite 129 der HBI-Studie dann auch ein, dass Rauchübertritte nicht auszuschließen sind:

„Zu den Verrauchungssituationen, die bei Anwendung der EBA-Tunnelrichtlinie nicht ausgeschlossen werden können, zählen beispielsweise:

  • Verrauchen von Folgezügen
  • Verrauchen der Gegenröhre durch Rezirkulation am Portal (bei ungünstigen Auf- und Abtriebs- Strömungen in zweiröhrigen Tunneln)
  • Kurzzeitiger Rauchübertritt in Gegenröhre über Querschläge
  • Raucheintritt in Schleuseninnenbereiche in Querschlägen und Rettungszu- bzw. -ausfahrten
  • Verrauchen von abzweigenden Tunneln
  • Unkontrollierte Rauchausbreitung am Ereigniszug und in der Ereignisröhre
  • Unkontrollierte Luftqualität in der Nichtereignisröhre (z.B. bzgl. Schadstoffgehalt durch Rettungsfahrzeuge)“

Der wichtigste Grund, warum Rauchübertritt in die andere Tunnelröhre nicht verhindert werden kann, wurde von HBI überhaupt nicht betrachtet, nämlich die große Zeitverzögerung beim Lüftungsbetrieb. Hierzu wird auf die Ausführungen oben unter 6. zur Rauchausbreitung im

Tunnel verwiesen. Bei insgesamt ca. 39 Minuten Zeitverzögerung kann die Tunnellüftung keinen wirksamen Beitrag zur Kontrolle der Rauchausbreitung mehr leisten und den Rauchübertritt in die zweite Röhre nicht verhindern.

Bis heute wurde ein wirksames Konzept zur Verhinderung des Rauchübertrittes in die „Sichere Röhre“ weder erstellt noch nachgewiesen.

  1. Schleusen der Rettungsstollen

Die Zulauftunnel zum Tiefbahnhof „Stuttgart 21“ bestehen jeweils aus zwei parallel verlaufenden eingleisigen Röhren, eine für die Zufahrt, die andere für die Ausfahrt aus dem Bahnhof. Diese Röhren sind im Abstand von jeweils 500 m durch sogen. „Querschläge“ verbunden, die als „Rettungsstollen“ vorgesehen sind, um im Brand- und Katastrophenfall die Flucht in die jeweils andere Röhre als „Sicherer Bereich“ zu ermöglichen. Diese „Rettungsstollen“ werden als Schleusen mit je einer „Fluchttür“ ein- und ausgangsseitig ausgerüstet, die folgenden Anforderungen genügen muss:

  • Jederzeit Zugang und Durchgang in die Gegenröhre ermöglichen
  • Sperrung des Ausganges aus der Schleuse in die Gegenröhre, solange dort Zugverkehr herrscht
  • Rauchübertritt von einer Röhre in die andere verhindern

8.1 Anforderungen an die Schleusen schließen einander aus:

Die Art der Schleusentür-Schließung in den Rettungsstollen der S21-Zulauftunnel wurde erstmals in der „S21-Fakten-Schlichtung“ am 20.11.2010 hinterfragt. Ausgangspunkt ist die Schleusenfunktion mit gegenseitiger Verriegelung der Zugangs- und Ausgangstüren. Diese bedingt, dass die Tür am Ausgang in die sogenannte „Sichere Röhre“ sich erst öffnen lassen darf, wenn die Tür am Zugang aus der „Ereignisröhre“ geschlossen ist. So soll Rauchübertritt verhindert werden. Dies kann jedoch nur funktionieren, wenn die nachdrängenden Flüchtenden das Schließen der Zugangstür in die Schleuse nicht verhindern. Anderenfalls lässt sich die Ausgangstür vorne in die „Sichere Röhre“ nicht öffnen und die Menschen können den Rettungsstollen nicht verlassen.

Wie die Schließung dieser Schleusentüren ein- und austrittsseitig an den Rettungsstollen tatsächlich geregelt sein wird, ist jedoch bis heute ungeklärt. Weder ist dies im Planfeststellungsbeschluss noch im Rettungskonzept festgelegt. Vielmehr ist die Problemlösung auf die Ausführungsplanung und die Inbetriebnahme vertagt worden, obgleich dies schon bei Antragstellung hätte geklärt sein müssen.

Die Anforderungen an die Schließung der Schleusentüren sind höchst widersprüchlich und schließen einander aus – ein weiteres ungelöstes Problem.

8.2 Funktionen als Fluchttür / Terrorgefahr

Für Fluchttüren gilt grundsätzlich und zwingend, dass sich diese jederzeit von Hand ohne Zuhilfenahme irgendeines Werkzeuges mit nur geringem Kraftaufwand in Fluchtrichtung öffnen lassen müssen. Dazu sind Fluchttüren auch nicht mit einer Türklinke, sondern mit einem über die gesamte Türflügelbreite reichenden Bügel versehen, der durch leichtes Niederdrücken die Türöffnung freigibt, und zwar auch dann, wenn die Fluchttür von außen her zum Schutz vor Unbefugten mittels Schlüssel verschlossen ist. Im Ereignisfall hat die sichere Fluchtmöglichkeit für die im Fluchtbereich befindlichen Personen absoluten Vorrang vor jeder anderen Maßnahme.

Weil aber die Schleusen je nach Lage eines Brandereignisses jederzeit sowohl in die eine als auch in die andere Richtung durchquerbar sein müssen, käme ein Verschließen der Türen zur Verhinderung des Eindringens von Unbefugten überhaupt nicht in Frage.

Damit ist auch eine Absicherung der Fluchttüren gegen einen Zutritt von Unbefugten nicht möglich. Angesichts der sowohl vom Innenministerium des Landes als auch von der DB AG im Prozess beim VGH bestätigten erhöhten Anschlagsgefahr auf Bahneinrichtungen in Stuttgart besteht daher hier ein Einfallstor für Terroristen.

8.3 Schleusentür-Freigabe erst nach Ende des Zugverkehrs

Die Anforderung, dass die Fluchttüren jederzeit für jedermann zu öffnen sein müssen, steht in einem nicht lösbaren Widerspruch zur zwingenden Notwendigkeit, die Ausgangstür der Rettungs-Schleuse erst dann für die Flüchtenden freizugeben, wenn die sogenannte „Sichere Röhre“ freigefahren und sichergestellt ist, dass dann kein Zug mehr durchfährt. Vor dem Leerfahren besteht Lebensgefahr für die in die Sichere Röhre Geflüchteten. Dies setzt eine leistungsfähige und ausfallsichere Signal- und Überwachungs-Anlage der Tunnel sowie eine aufwändige fernschaltbare Schließtechnik an den Schleusentüren voraus. Ein einziger Versagensfall hätte hunderte Tote zur Folge. Doch je umfangreicher und komplizierter solche Schalt- und Steuer-Anlagen sind, desto störanfälliger sind diese auch.

Beachtlich ist insgesamt betrachtet die große unvermeidliche Zeitverzögerung bis zur Schleusentürfreigabe. Wie schon oben unter 6. (Rauchausbreitung) beschrieben, muss im Ereignisfall zunächst der Lokführer den Brand im Zug und seinen Halt im Tunnel samt Standortangabe über Zugfunk an die Leitstelle in Karlsruhe melden. Diese muss dann für die Räumung beider Röhren von intakten Zügen sorgen. Bei dem für den „Hochleistungsknoten Stuttgart 21“ vorgesehenen „S-Bahn-ähnlichen Hochleistungsbetrieb im 5-Minuten-Takt“ wird viel wertvolle Zeit vergehen, bevor die Ausgangstüren überhaupt erst freigegeben werden können. Für die meisten Flüchtenden wird es dann bereits zu spät sein.

  1. Dritte Röhre als Rettungsröhre:

Eine dritte Röhre zwischen den von Zügen befahrenen Röhren ist heute – z.B. in München an der 2. Stammstrecke und im Eurotunnel zwischen Großbritannien und Frankreich – unabdingbarer Stand der Technik. Sie wäre als Rettungsröhre in der Vielzahl von Tunnelstrecken auch in Stuttgart zwingend erforderlich, wurde aber entgegen diesem unbestrittenen Stand der Technik bei S21 nicht geplant. Auch die Möglichkeit, die Abstände der Rettungsstollen auf ein Viertel des bisher Geplanten zu verringern, um wenigstens ansatzweise Chancen für die Rettung im Brandfall zu schaffen, wurde bislang nicht umgesetzt. Doch selbst diese Maßnahme ist in den gefährlich engen Tunnelstrecken nicht ausreichend, um annähernd sicher im Brandfall Tote

und Verletzte ausschließen zu können. Daraus folgt, dass nach derzeitigem Planungsstand in Stuttgart im Gegensatz zu den zuletzt in Europa gebauten Eisenbahntunneln der heutige Stand der Technik nicht eingehalten wird.

Es müssen nämlich die Grundsätze der Richtlinien der Modulfamilie 813 angewandt werden:

Hier die maßgebenden Auszüge:

Grundsatz Brandschutz/ Brandschutzkonzept (BSK):

(2) Bauliche Anlagen müssen so beschaffen sein, dass der Entstehung eines Brandes und der Ausbreitung von Feuer und Rauch vorgebeugt wird und bei einem Brand die Rettung von Menschen sowie wirksame Löscharbeiten möglich sind. Bereits im Planungsstadium von Neu- und umfassenden Umbauten ist grundsätzlich ein ganzheitliches Brandschutzkonzept (BSK) mit fortschreitender Planungstiefe zu erstellen oder fortzuschreiben. Mit der Erstellung von Brandschutzkonzepten sind Sachverständige aus dem „Sachverständigen-Pool Brandschutz“ der DB Station & Service AG unter Berücksichtigung der Wettbewerbsbestimmungen zu beauftragen. Neben den Anforderungen an den baulichen und anlagentechnischen Brandschutz sind in diesem auch betriebliche und organisatorische Maßnahmen (Notfall- bzw. Sicherheitsmanagement) zu berücksichtigen. 

Die vorstehend beschriebenen gravierenden Mängel stehen im eklatanten Widerspruch zu diesen Vorgaben.

III. Rechtliche Folgerungen:

Das bisherige Sicherheits- und Rettungskonzept der DB PSU für die S21-Tunnel ist untauglich und nicht umsetzbar, wie die Überprüfung der vorgelegten Simulationen nachgewiesen hat. Diese Mängel lagen schon vor der Planfeststellung vor.

Das Liegenbleiben eines brennenden Zuges im Tunnel ist in der Vielzahl von Tunnelstrecken in Stuttgart, namentlich im fast 10 km langen Fildertunnel, für mehrere Brandsituationen ohne weiteres denkbar. Die für diesen Fall zu erwartenden Situationen betreffen nicht unwahrscheinliche Szenarien und müssen beherrschbar sein. Keinesfalls handelt es sich dabei nur um ein von der DB AG als „worst-case“ bezeichnetes Szenario. Dennoch hält die DB AG ausweislich ihres Dokuments „Brand- und Katastrophenschutz in Eisenbahntunneln, Version 2.1“ vom Februar 2002 die Berücksichtigung eines solchen Brandunfalls bei Tunnelplanungen „für nicht zielführend“. Dieses Vorgehen kollidiert frontal mit der grundrechtlich verbrieften Abwehr von Gefahren für Leib und Leben.

Die Auslagerung des Brandschutzes bei der Planfeststellung war deshalb nicht zulässig. Denn der Stand der Technik stellte schon damals für die zu bewältigenden Probleme keine geeigneten Lösungen zur Verfügung. Insbesondere war nicht sichergestellt, dass die entsprechenden technischen Regelwerke, in denen der Stand der Technik Ausdruck gefunden hat, durch die Vorhabenträgerin beachtet werden. Genau dies missachtet sie, wie vorstehende Auswertungen zeigen. Die Planfeststellungsbehörde hat sich vor allem nicht durch eigene Überprüfungen Gewissheit darüber verschafft, dass die Problematik beherrschbar ist und das notwendige Regelinstrumentarium bereitsteht. Insbesondere hat das EBA seine eigene Tunnelrichtlinie missachtet, wonach die Einzelheiten des Rettungskonzepts vor Einleitung des Planfeststellungsverfahrens hätten festgelegt sein müssen.

Deswegen ist die Planfeststellung fehlerhaft und rechtswidrig.

Das EBA ist daher verpflichtet, den Vortrag des Versagens des Brandschutzes in den Tunneln des Bahnprojekts Stuttgart 21, insbesondere im Fildertunnel, umgehend umfassend zu prüfen und jene Faktoren einzubeziehen, die sich aus den benannten Beweismitteln ergeben. Als deren Folge ist es verpflichtet, die Festlegungen der Planfeststellung nach seiner eigenen Sach- und Rechtsprüfung den geschilderten Erkenntnissen anzupassen und durch geeignete Maßnahmen für ein effektives Brandschutz- und Rettungskonzept wie eingangs beantragt zu sorgen.

Es handelt sich um den Ausnahmefall einer Ermessensreduzierung auf Null. Damit besteht ein Anspruch auf Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses. Dazu wird zumindest die Anordnung von weiteren Auflagen der Planfeststellungsbeschlüsse in einem ergänzenden Verfahren nötig sein.

Nachbesserungen bei Brandschutz und Entfluchtung etwa als Auflagen auf das Vorfeld der Betriebserlaubnis zu verschieben, würde bei diesem komplizierten Gesamtprojekt nicht genügen. Sichere Rettung der Fahrgäste und des Zugpersonals bei einem Zugbrand im Tunnel ist vielmehr schon im Planfeststellungsverfahren schlüssig und für die Planfeststellungsbehörde überzeugend zu regeln. Die Prüfung der bisher geheim gehaltenen Unterlagen der Bahn beweist, dass die bisherigen Entscheidungen der Genehmigungsbehörde auf unzureichenden und teilweise auch falschen Angaben der Vorhabenträgerin beruhen.

Die Vorhabenträgerin kann sich dem gegenüber nicht auf Vertrauensschutz berufen. Es liegt auf der Hand, dass die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 und 2 VwVfG vorliegen, denn sie hat den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, zumindest aber durch Angaben erwirkt, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren. Unzweifelhaft kannte sie auch die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, zumindest aber lag anderenfalls grobe Fahrlässigkeit vor.

Sollten die Konzepte einer derartigen Ergänzung der Planfeststellungen nicht zu befriedigenden Ergebnissen in Bezug auf die Tunnelsicherheit führen, ist die Aufhebung der bereits ergangenen Planfeststellungsbeschlüsse unumgänglich.

IV: Zusammenfassung:

  1. Sämtliche bisher für das Bahnprojekt Stuttgart 21 erteilten Planfeststellungsbeschlüsse klammern eine Betriebsgenehmigung für den Brandschutz aus. Dadurch werden rechtsstaatlich regelwidrig vollendete Tatsachen des Baufortschritts mit Milliardenaufwand geschaffen, als ob ein genehmigungsfähiger Brandschutz vorliegen würde oder unproblematisch erreichbar wäre. Dies erweist sich jedenfalls nach heutigen Kenntnissen als falsch, rechtswidrig und unverantwortlich. Ein Umsteuern ist umgehend unerlässlich.
  2. Das Projekt Stuttgart 21 hat in Bezug auf Zugbrände in Tunnelstrecken u.a. wegen der Quellgefahr des durchquerten Anhydrits verengte Tunnel-Sonderquerschnitte. Im Vergleich zu anderen Eisenbahntunneln in Deutschland liegt hier deshalb ein gefährliches Alleinstellungsmerkmal vor.
  3. Die Vorhabenträgerin hat insgesamt ein untaugliches Brandschutz- und Rettungskonzept vorgelegt, welches zudem die Tunnelrichtlinie des EBA außer Acht lässt.
  4. Die getroffenen Brandschutz- und Rettungsmaßnahmen bei der Planung der sehr zahlreichen und langen Tunnelstrecken des Projekts, insbesondere beim Fildertunnel, sind unzureichend. Die Gesamtrisiken übersteigen weit den hinzunehmenden Rahmen tolerierbarer Restrisiken bei Großprojekten dieser Art.
  5. Zugbrände sind in Deutschland, wie den Anlagen 1 und 2 zu entnehmen ist, so häufig, dass bei den Tunnelstrecken von Stuttgart 21 mit einem brennend im Tunnel zum Halt kommenden Zug, den die Vorhabenträgerin selbst als „nicht beherrschbaren worst case“ bezeichnet, leider und auch wiederkehrend gerechnet werden muss. Es kann auch keineswegs ausgeschlossen werden, dass z.B. der Ausfall des Antriebs oder ein vom Zugsicherungssystem ausgelöster Zwangshalt den Zug am Ausfahren aus dem Tunnel hindert. Damit verstoßen Planung und Planfeststellungsbeschluss wegen des möglichen „nicht beherrschbaren Falls“ gegen den rechtlich vorrangigen Art 2 Abs 2 GG der Gefahrenabwehr für Leib und Leben.
  6. Das Eisenbahnbundesamt muss sich schlüssig davon überzeugen, dass die grundgesetzlich verbriefte Gefahrenabwehr eingehalten werden kann. Dies ist hier eindeutig nicht der Fall, sodass die Forderung nach Ergänzung der Planfeststellung – z.B. um dritte Röhren als Fluchtweg, breitere Fluchtwege und Querschläge in wesentlich engeren Abständen – unerlässlich ist.
  7. Sollte ein sicherer Rettungsweg im Brandfall technisch nicht bzw. angesichts des Baufortschritts nicht mehr möglich sein, sind alle Planfeststellungsbeschlüsse zu Abschnitten, welche Tunnelstrecken enthalten, aufzuheben, das Projekt Stuttgart 21 insgesamt zu stoppen und durch eine leistungsfähige sowie kostengünstigere Alternative, z.B. „Umstieg 21“, zu ersetzen.

Ich bitte um eine baldige Eingangsbestätigung dieses Schriftsatzes und um Angabe des dortigen Aktenzeichens. Sofern schriftliche Vollmachten der Antragsteller benötigt werden, möge es mir mitgeteilt werden.

Dr. Eisenhart von Loeper, Rechtsanwalt

Anlagen:

  1. Auflistung der Zugbrände im Tunnel (hier als pdf-Datei)
  2. Auflistung der Brandereignisse bei Reisezügen und Bahnanlagen 2000 – 2020 (hier als pdf-Datei)
  3. Evakuierung eines Zuges im Tunnel (Folie 11 der DB Netze AG in der Folge der „Gruner-Expertise“) (hier als pdf-Datei)
  4. Schreiben der Ingenieure 22 vom 27.04.2020 an Dr. Florian Bitzer, DB PSU (hier als pdf-Datei)
  5. Evakuierungsbericht Karlheinz Rößler vom 16.09.2019 (hier als pdf-Datei)
  6. Pressemappe zur Einsatzübung im Fleckbergtunnel in Thüringen (hier als pdf-Datei)
  7. Schreiben des Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migration BW an Dipl.-Ing. Wolfgang Jakubeit vom 20.03.2020 (hier als pdf-Datei)
  8. Auswertung von Wikireal.org und den Ingenieure22 zu Sicherheitsrisiken bei den S-21-Tunneln (hier als pdf-Datei)
  9. Protokoll des Arbeitskreises Brandschutz vom 22.01.2014 (hier als pdf-Datei)
  10. Brief Dr. Frank Knödler vom 30.08.2019 (hier als pdf-Datei)