Liebe Freundinnen und Freunde,
Besançon ist nicht Stuttgart. Die schöne alte Stadt an einer Schleife des Doubs ist zwar Verwaltungssitz des Department Doubs im französischen Jura und damit auch von überörtlicher Bedeutung, aber nur ziemlich genauso groß wie Heilbronn. Wie Stuttgart bewegt die Stadt seit Jahren ein für ihre Verhältnisse riesiges Infrastrukturprojekt, die tiefgreifende Erneuerung des Stadtkerns in Verbindung mit der Wiedereinführung einer innerstädtischen Tram, die 1952 eingestellt worden war.
http://de.wikipedia.org/wiki/Stra%C3%9Fenbahn_Besan%C3%A7on#cite_ref-8.
Vier Jahre nach der Planfeststellung und damit ziemlich punktgenau war man dieses Jahr fertig. Mit einem großen Stadtfest am Wochenende des 30./31. August wurde die Inbetriebnahme der neuen Tram gefeiert. Die ganze Stadt samt Umfeld war auf den Beinen, ja seit Wochen aus dem Häuschen. Dieselbe kritische Zivilgesellschaft, die in Stuttgart einen zähen Kampf gegen die Obrigkeit und das ihr aufgezwungene Projekt führt, fiebert in Besançon seit Wochen der Feier zur Projekfertigstellung entgegen. Feste, die in Stuttgart Teil der Protestkultur sind, sind in Besançon ein geradezu klassenloses, alle politischen Lager umfassendes Fest mit dem höchst populären Monsieur le Maire Jean-Louis Fousseret von den Sozialisten an der Spitze.
Auch den citoyens von Besançon wurde mit dem Projekt einiges abverlangt. Es gab Debatten über die hohen Kosten, die Anderes unmöglich machten, am Ende aber bei 256 Mio. Euro gegenüber 228 Mio. Euro bei Beginn gehalten werden konnten, über die Streckenführung bis zur Zahl der unvermeidlich zu fällenden Bäume. Auch archäologische Funde mussten im Bauprozess berücksichtigt werden. All diese Debatten wurde jedoch im Wesentlichen vor Baubeginn geführt und alle weiteren Konflikte und Widersprüche, die sich unterwegs und unweigerlich ergaben, stellten das Projekt nicht mehr infrage. Es war nicht das Projekt irgendwelcher Investoren, Lobbyisten und Profiteure, die man alle schön rausgehalten hatte, es war das Projekt der BürgerInnen. Ihre Stadt sollte vom täglichen Verkehrskollaps geheilt werden, sollte freundlicher und lebenswerter werden, was ihnen beeindruckend gelungen ist. Die Frage: wessen Stadt? haben die BürgerInnen in Besançon für sich entschieden.
Dieser Unterschied in der Bürgerbeteiligung ist das eine. Wo in Stuttgart ein geradezu systematischer Betrug die Geschäftsgrundlage war, lagen in Besançon die Karten vor Baubeginn auf dem Tisch. Die BürgerInnen hätten auch Non sagen können. Aber noch entscheidender als die Frage der Bürgerbeteiligung ist die Frage der Sinnhaftigkeit eines Projekts. Diese Frage haben sie in Besançon mit einem laute Qui beantwortet, während sie in Stuttgart egal wie fortgeschritten der Unsinn ist, nur mit einem mindestens so lauten NEIN zu beantworten ist. Und daran kann auch die cleverste Bürgerbeteiligung nicht ändern.
Besançon ist übrigens eine der französischen Städte, die den Aufruf gegen TTIP, das transatlantische Freihandelsabkommen unterzeichnet haben („Non au Traité Transatlantique! » http://stoptafta.wordpress.com/mobilisations/) und in der der Anteil des Front National von Le Pen bei nur 7 Prozent gegenüber 24 Prozent landesweit (Europawahlen) lag. Kein Zufall!
Der Stuttgarter Widerstand, überhaupt Stuttgart, hätte es verdient, auch einmal so feiern zu können wie die Citoyen de Besançon.
Warmlaufen für Anhörung „Filderbereich mit Flughafenanbindung“
Am 22. September startet (zunächst wieder auf dem Messegelände) die Mammut-Anhörung zu einer der großen Schwachstellen des S21-Projekts und wird mit darüber entscheiden, ob der Wahnsinn weitergeht oder das Projekt hier verdienterweise ins Straucheln gerät. Das Regierungspräsidium (Leitung der Anhörung wieder Frau Bühler und Herrn Trippen) zeigt sich erstaunlich kooperativ. Es fanden im Vorfeld Abstimmungsgespräche (auch?) mit Stuttgart21-GegnerInnen statt, in denen über Abläufe gesprochen wurde und auch die Terminkalender der beteiligten Gutachter berücksichtigt werden sollten. Außerdem wurde der Zeitrahmen auf zweieinhalb Wochen ausgeweitet. TO, Zeiten und Örtlichkeiten: http://www.rp.baden-wuerttemberg.de/servlet/PB/menu/1393154/index.html.
Seit Wochen bereitet sich auch die Bürgerbewegung auf diesen großen Event vor, allen voran die Schutzgemeinschaft Filder, die Ingenieure22, die Vaihinger gegen S21, wikireal, der BUND, das Aktionsbündnis und etliche einzelne engagierte BürgerInnen. Dr. Christoph Engelhardt arbeitet unter Hochdruck an einer Erwiderung auf das Positionspapier der DB zur Entkräftigung des Vorwurfs der Leistungslüge, Sasha Behnsen und RA Tobias Lieber aus Freiburg haben Gutachten erstellt, die sie vertreten werden. Entscheidend wird sein ob es eine solidarische Regie auf Seiten der Einwänder gibt oder einzelne in erster Linie ihre Steckenpferd reiten.
Hebel eins sind die immanenten Widersprüche des Filderbereichs und Hebel zwei ist der grundsätzliche Ansatz, die Genehmigung nicht zu erteilen, weil der Filderbereich Teil eines insgesamt unsinnigen Projekts ist, vor allem weil es auf eine Leistungseinschränkung des Bahnknotens hinausläuft. Diese Debatte lässt das RP zwar zu, aber erst am Ende der Anhörung.
Pofalla, Grube, Merkel & Co – Infoverweigerung des Bundeskanzleramts (Berliner Mauern)
Preisgeben, was ohnehin bekannt ist. Nach dieser Devise hat das Bundeskanzleramt den Antrag von Bündnissprecher und RA Dr. Eisenhart von Loeper auf Akteneinsicht nach dem Umweltinformationsgesetz beantwortet. Mit dem Antrag sollte Licht in das Dunkel der Vorgänge im Vorfeld der DB-Aufsichtsratssitzung gebracht werden, die eine Fortsetzung des Projekts trotz Kostenexplosion beschlossen hatte. Mit diesem Vorstoß sollte auch die dubiose Rolle von Herrn Pofalla erhellt und die Strafanzeigen gegen DB-Vorstand und -Aufsichtsrat untermauert werden.
Als Antwort des Bundeskanzleramts gingen bei Eisenhart von Loeper diverse Aktenvermerke (einer anbei) von beflissenen Sachbearbeitern an die Bundeskanzlerin ein, die sich wiederholend fast nur das öffentlich längst bekannte enthielten, nämlich die Darstellung und Rechtfertigung der Bahn, warum trotz Mehrkosten weiter gemacht werden müsse. Eine servile Ja-Sagerei, keine Aufnahme von Kritik – es sei denn das Geschwärzte enthielte noch Aufschlussreicheres. Außerdem muss davon ausgegangen werden, dass nicht alle relevanten Vorgänge rausgerückt wurden. Zu den fehlenden Infos gehört z.B. der Terminkalender des damaligen Kanzleramtsministers und heutigen Bahnlobbyisten Pofalla.
„Hiermit erhebe ich gegen Ihren Bescheid vom 22.8.2014, soweit meinem umfassend zu verstehenden Antrag vom 23. Juli 2014 nur lückenhaft entsprochen wurde und insbesondere große Teile geschwärzt und Informationen nicht erteilt wurden, Widerspruch“ – so die kurz darauf beim Bundeskanzleramt eingegangene und ausführlich begründete Antwort von RA von Loeper auf diesen Versuch, ein gesetzlich verbrieftes Informationsrecht zu unterlaufen.
SSB verstrickt sich immer mehr in ihrer S21-Fixierung
Zwischen der Loyalität zu ihren Fahrgästen und der zu S21 hat sich die SSB ganz klar für Letztere zu Lasten Ersterer entschieden. Als Anwältin ihrer Kunden hat sie keine Einwändung gegen die 14. Planänderung (PFÄ 1.1.14/Nesenbachdüker) erhoben, obwohl die Bahn damit ihre Zusage, die nebenbei auch Grundlage der Versprechungen der Volksabstimmung war, gebrochen hat, die Umbauten im Stadtbahnbereich „unter rollendem Rad“ vorzunehmen. Jetzt sollen zwei Hauptachsen des Stuttgarter U-Bahn-Netzes 9 Monate bzw. zwei Jahre gesperrt werden.
Im bahntypischen Lügenjargon fabuliert die SSB, alle Haltestellen würden angefahren und verschleiert damit, dass die Linien unterbrochen werden sollen. Informatives zum Stand der Dinge von einer SSB-Kampagnen-Aktivistin http://www.parkschuetzer.de/statements/175844 und PM der Parkschützer.
Auch nicht gerade kundenfreundlich von der SSB, ständig die Weitergabe der kritischer Infos zum drohenden Chaos an ihre Fahrgäste zu behindern, die sie eigentlich selber liefern müsste. Und dabei auch noch mit Desinformationen über die Rechte des Verteilens zu hantieren, die selbst von der Polizei anders gesehen werden: www.bei-abriss-aufstand.de/2014/09/07/presseerklaerung-stadtbahn-schuetzen-statt-s21-murks-zu-protegieren-liebe-ssb/
Bundesregierung lässt Grüne auflaufen
Erstaunlich mit welcher Ignoranz die Bundesregierung die guten Fragen der grünen Bundestagsfraktion zu Stuttgart 21 beantwortet, wo sie das Projekt doch zur Nagelprobe deutscher Infrastrukturkompetenz erklärt hat. In einem Wechselspiel von „nicht zuständig“ und „weiß von nix“ werden die plausibel und berechtigt gestellten Fragen nicht beantwortet: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/024/1802416.pdf.
Wenn dieses Spielchen der Bundesregierung so weiter gehen, dürfen es die Bundestagsgrünen nicht bei der mit den LINKEn FraktionskollegInnen geplanten gemeinsamen Anhörung (voraussichtlich im Herbst, Vorbereitungen mit Aktionsbündnis im Gange) im Bundestag bewenden lassen, sondern müssen auf den aufgeschobenen Untersuchungsausschuss zurückkommen.
Lesenswert, sehenswert!
Das ganze Elend von S21 von Energiebilanz bis Tunnelentrauchung schön in einer Übersicht zusammengestellt von den Ingenieuren22: http://www.bei-abriss-aufstand.de/wp-content/uploads/2014-09-05_S21-Maengelliste_Ing22.pdf
Nils Schmids Amtsbruder und Parteigenosse Garrelt Duin, Wirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen (SPD), empfiehlt, Problemlösungen künftig vor allem im Dialog mit den Bürgern zu suchen, da sich fehlende Kommunikation räche: „Wir haben unglaublich vermurkste Projekte, bei denen kein Fehler ausgelassen wurde“, sagte er und nannte als Beispiel Stuttgart 21, so die Westdeutsche Zeitung.