Offener Brief von Regierungsbaumeister, Bürgermeister i. R. und Vorstandsmitglied der Schutzgemeinschaft Filder Frank Distel, Ostfildern, an Andrea Nahles, Kevin Kühnert und Andreas Stoch
Liebe Andrea, lieber Kevin, lieber Andreas,
die Deutsche Bahn AG ist inzwischen derart marode, dass sie – wie Bahnkunden tagtäglich erleben müssen – ihrer grundgesetzlich verbrieften Hauptaufgabe eines funktionierenden, zuverlässigen Bahnbetriebs nicht mehr nachkommen kann. Der Schuldenstand liegt inzwischen bei 20 Mrd. €. Die reine Zahl 20 erschreckt Euch vielleicht nicht, deswegen drücke ich das mal etwas anders aus: 20.000 Millionen Euro!!!
Ganz entscheidend daran beteiligt ist die an allen Ecken und Enden völlig gescheiterte Fehlplanung „Stuttgart 21“, die in unserer Partei leider totgeschwiegen wird (!). Inzwischen bestätigt sich auch unsere, vom Bundesrechnungshof bestätigte, zwei Jahre alte Schätzung, dass die explodierenden Kosten die 10-Milliarden-Grenze deutlich reißen werden. Zusammen mit der, im Bundesverkehrswegeplan verankerten Neubaustrecke Wendlingen – Ulm sind es über 15 Milliarden! Liebe Genossin, liebe Genossen: 15 Milliarden Euro FÜR EINEN NICHT WIEDER GUT ZU MACHENDEN RÜCKBAU DER BAHNINFRASTRUKTUR!! Für ein Fehlprojekt, das bahnbetrieblich WEITGEHEND UNGEEIGNET ist für den (auch den Nahverkehr umfassenden) Deutschlandweiten Integralen Taktfahrplan! 10 (15) Milliarden für eine gescheiterte Planung, die nicht einmal den heutigen Bahnverkehr bewältigt; zahlreiche verspätungs–AUF-bauende Störfaktoren im gesamten Bahnknoten Stuttgart implementiert – UND – mangels jeglicher Zukunftstauglichkeit die auf breiter politischer Front geforderte Verdoppelung der Bahnnachfrage bis 2030 nicht einmal ansatzweise leisten kann.
Das bahnbetrieblich UND städtebaulich weitaus bessere Alternativprojekt „Umstieg 21“ des „Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21“ wird zurzeit auf den momentanen Baufortschritt aktualisiert. Selbst beim aktuellen Baustand würde die Bahn (und der Steuerzahler) zwischen mindestens 2 Milliarden, eher sogar 2,5 Milliarden €, sparen – SEHR VORSICHTIG GERECHNET! Leider ist diese Alternative nie von den Projektpartnern wirklich seriös geprüft und mit einem Weiterbau von S 21 – ehrlich gerechnet – gegenübergestellt worden. Vielmehr sind Aufsichtsrat, Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik regelmäßig von der Bahn mit bewusst in die Höhe gerechneten, falschen Ausstiegskosten belogen worden, um den längst unwirtschaftlich gewordenen Weiterbau dieses Wahnsinns zu rechtfertigen. Stets hat man sich politisch hinter einer Volksabstimmung versteckt, die (vergleichbar mit dem Brexit) von A bis Z mit verlogenen Zahlen und Behauptungen zustande gekommen ist; stets hat man – wider besseres Wissen! – mit schöngerechneten Zahlen operiert – BIS HEUTE! Sieht das die Politik nicht – oder WILL sie es nicht sehen? Demnächst steht wieder ein Offenbarungseid des Bahnvorstands bevor – der wievielte eigentlich?
Last but not least: stets versteckt man sich hinter dem Finanzierungsvertrag der Projektpartner vom April 2009 (FinVe), wonach man angeblich im Rahmen der Pflicht zur Förderung des Vorhabens nicht rauskäme. Mit dieser Fehleinschätzung räumt nun ein – ganz bewusst parteineutral gehaltenes – Rechtsgutachten von Prof. Urs Kramer, Universität Passau, gründlich auf.
Ich leite Euch hiermit Briefe unseres Bündnissprechers, Rechtsanwalt Eisenhart von Loeper an Bundesumweltministerin Svenja Schulze und an den Bahnvorstand weiter. Dazu das erwähnte Rechtsgutachten von Prof. Kramer zu den Fragen eines Baustopps und dessen rechtlicher Einschätzung im Lichte des Finanzierungsvertrags der Projektpartner vom April 2009 sowie der sog. „Sprechklausel“ dieses FinVe.
Wie lange will „meine“ SPD diesem UNSÄGLICHEN bankrott-trächtigen Treiben des Bahnvorstands insgesamt und zu „Stuttgart 21“ im Besonderen noch tatenlos zusehen?
Tragt ENDLICH politisch bei zum Stopp dieses Wahnsinns in Stuttgart; einer Fehlplanung, die andere Großprojekte, wie beispielsweise die Elbphilharmonie in Hamburg oder den Großflughafen BER schon lange im negativen Sinne übertroffen hat! BEIDE Projekte sind für ihre jeweiligen Zwecke trotz der peinlich explodierten Kosten wenigstens sinnvoll; Stuttgart 21 ist dagegen bahnbetrieblich schon jetzt und erst recht in Zukunft völlig unterdimensioniert; mit den 59 km Tunnelstrecken und unterirdischen Bahnhöfen dazuhin höchst gefährlich für Leib und Leben der Fahrgäste, namentlich im Fall eines Zugbrands, der im Schnitt 2 bis 3 mal pro Jahr passiert!
Mit solidarischen Grüßen
Dipl.-Ing. Frank Distel
Regierungsbaumeister, Bürgermeister i. R.