Liebe Freundinnen und Freunde,

da stehen wir nun mit unserem so wunderbaren S21-Widerstand in einer Welt, in der alles aus den Fugen zu geraten scheint: Es sind keine Verrückten, sondern eiskalt kalkulierende Politstrategen, die bis zur Aufgabe ihre physischen Existenz einen Krieg der Kulturen, Religionen und Zivilisationen vom Zaun brechen wollen. Ob aus diesen Funken ein Flächenbrand wird, hängt davon ab, ob in Frankreich der Front Nationale und vor unserer Haustür die Brandstifter von AfD/Pegida es schaffen, den Horror vor dem islamistischen Wahnsinn in Feindseligkeit und Hass gegenüber dem Islam, den Muslimen, allem Fremden umzumünzen.

Was geht uns das an? Sollen Montagsdemos trotz zeitlicher und räumlicher Nähe so weiter gehen als wäre nix? Soll an der Mahnwache für Anti-Pegida-Demos geworben werden? War es richtig, dass viele Gruppen aus dem Widerstand und auch das Aktionsbündnis den Aufruf der Anstifter zur Anti-Pegida-Demo unterstützt haben?

Je näher SoziologInnen und Meinungsforscher diese amorphe Pegida-Bewegung unter die Lupe nehmen, desto klarer wird: der Ursprung des Frusts, der sich hier massenhaft entleert liegt in einer fundamentalen sozialen Verunsicherung, der individuellen Angst vor Arbeitsplatzverlust und Prekarisierung, vor steigenden Mieten oder Verarmung im Alter. Statt sich die Ursachen und die Verantwortlichen all dessen vorzuknöpfen, wird nach unten, nach den noch Schwächeren getreten.  Kuhn hat schon recht, wenn er auf der Anti-Pegida-Demo feststellt, dass wohl der Islam nichts mit Mietpreissteigerungen oder Feinstaub zu tun habe. (Anti-Pegida-Demo unpolitisch? Kritik von Joe Bauer: www.flaneursalon.de/de/depeschen.php?sel=20150106).

Aber wer war’s dann? Da hätten Kuhn und seine Mitregierenden in Stadt und Land sich an die eigene Nase fassen müssen. Wer Tausende Sozialwohnungen einer Heuschrecke zum Fraß vorwirft, wer jahrelang nur Nasenwässerchen gegen die zunehmende Feinstaubbelastung bietet, stattdessen aber mit seiner Wende zum S21-Mitgestalten einer wahre Feinstaubexplosion den Weg bereitet (s. Peter Erben und Matthias v. Hermann / 254. MoDemo: http://www.bei-abriss-aufstand.de/2015/01/07/rede-von-matthias-von-herrmann-auf-der-254-montagsdemo/  und  http://www.bei-abriss-aufstand.de/2015/01/07/rede-von-peter-erben-auf-der-254-montagsdemo/), wer eine Scheinbeteiligung nach der anderen (von der verlogenen Volksabstimmung über den Filderdialog bis zum geplanten Rosensteindialog) inszeniert, der trägt nicht nur zum Urfrust der Pegida-Leute bei, sondern der fördert auch Politikverdrossenheit und das Bild von „der Politik“ und „den Parteien“, die Bürger nicht schützen, ihnen nicht zuhören, die ihnen egal sind.

Peinlich berührt erkennt man: viele Begriffe und Aktionsformen von Pegida („Lügenpresse“, „Parteien haben uns verraten“, „Mahnwache“, „Montagsdemos“), sind nicht weit vom Repertoire des S21-Wiederstands entfernt, ja scheinen ihn zu imitieren. Das ist kein Wunder und keine Schande. Denn die Erfahrungen dieser Bürgerbewegung mit Politikern und Parteien, die sie in höchste politische Verantwortung getragen hat, von wo aus sie sich abgewandt, ja gegen ihre UnterstützerInnen gewandt haben, ist einschlägig. Ebenso die Erfahrungen mit den Leitmedien, die konzertiert und geradezu kampagnenmäßig Stuttgart 21 durchgeprügelt haben und deren Chefredaktionen und Herausgeber erst jetzt, wo sie das Projekt für durchgesetzt halten, wieder kritische Beiträge zulassen.

Der  große Unterschied ist: wo Pegida den Frust entpolitisiert, Ressentiments schürt und nach unten tritt, ist es das Verdienst des zivilgesellschaftlichen Widerstands gegen S21, diesen Frust zu politisieren („Es geht um mehr als einen Bahnhof“) und an die Richtigen zu adressieren (s. a. den als Anregung für die Montagsdemo am 5. Januar gedachten  Beitrag von Martin Poguntke/Anlage). Dass die Anti-Pegida-Demo in Stuttgart die wohl größte an diesem Tag in Deutschland war, dass Pegida es bisher nicht einmal versucht hat, hier zu demonstrieren, ist das Verdienst des hiesigen zivilgesellschaftlichen Engagements und ist damit indirekt das Verdienst des S21-Widerstands.

Damit das so bleibt, muss das Pegida–Thema nicht zum Repertoire unseres Widerstands und unserer Demos werden. Aber wir müssen Teil des Widerstands gegen Pegida sein und bleiben. Devise: „Oben bleiben statt nach unten treten!“

2015 Bürgerentscheid zu Stuttgart 21 !?

Viel länger als gedacht hat es gedauert, aber kurz vor Weihnachten war es geschafft: Das Bürgerbegehren mit 20 000 Unterschriften Stuttgarter BürgerInnen konnte OB Kuhn überreicht werden. Gefordert wird mit dem Bürgerbegehren ein Bürgerentscheid über den Ausstieg der Stadt aus den Finanzierungsverträgen zu S21.

Wie bei einer Kommunalwahl müssen die Bürger bei einem Bürgerentscheid an einem vom Gemeinderat definierten Wahltag in den bekannten Wahlbüros ihre Stimme für oder gegen den in der Formulierung festgelegten Bürgerentscheid abgeben.

Die Hürden für einen Bürgerentscheid liegen damit deutlich höher. Es gibt (noch) ein Quorum von 25 Prozent (soll auf 20 Prozent heruntergesetzt werden). D. h. von den 433 964 Kommunal-Wahlberechtigten in Stuttgart (2014) müssen 108 491 der Frage des Bürgerentscheids zustimmen. Und dies muss die Mehrheit aller Abstimmenden sein. Dann ist der Bürgerentscheid angenommen und die Stadt müsste ohne Wenn und Aber den Finanzierungsvertrag kündigen.

Zu befürchten ist, dass die Gemeinderatsmehrheit erneut versucht, den Bürgerentscheid zu torpedieren. Wenn nicht, würde es vermutlich im Frühjahr zum Bürgerentscheid kommen. Wenn doch, steht der Rechtsweg offen und auf dem Weg eines Eilantrags könnte der Bürgerentscheid erzwungen werden, der dann möglicherweise nach der Sommerpause stattfinden würde.

So oder so: es ist Zeit sich mit dieser großen Herausforderung zu befassen. Ob, wie oder unter welchen Voraussetzungen kann sie bestanden werden. Zeit für eine breite Diskussion in der Bürgerbewegung gegen S21!

Stuttgart für alle – wohin entwickelt sich unsere Stadt?
Symposium am 30. und 31. Januar
 

Die Bahnkonferenz „Kopf-machen“ Ostern letzten Jahres im Rathaus mit anschließender Kundgebung auf dem Marktplatz und der Verabschiedung des „Stuttgarter Bahn-Manifests“ stand Pate bei der Planung eines Wochenendes (Fr/Sa) zum Thema „Stuttgart für alle – wohin entwickelt sich unsere Stadt?“,  bestehend aus

  • einem Städtebausymposion mit vielen Fachleuten und BasisexpertInnen im Rathaus
  • anschließendem Open-Air mit
    Dr. Norbert Bongartz, Joe Bauer, Hannes Rockenbauch,
    Musik von: Capella Rebella, Die Elf, Akademische Betriebskapelle
  • und Umzug (mit Großlaternen aus dem Kreis der ArchitektInnen erstellt und bebildert mit Themen der Tagung). 

Flyer mit allen Angaben zum Programm des Symposiums im Rathaus auch an der MW und hier: http://www.architektinnen-fuer-k21.de/

Lesenswert

Peter Conradi appelliert im Kontext an die Bürgerbewegung gegen S21, sich nicht in der Minderheitenposition einzurichten, sondern sich wieder auf den mühsamen Weg zu den Mehrheiten aufzumachen, die angesichts der Elends und der Widersprüche des Projekts grundsätzlich erreichbar ist.

Annette Ohme-Reinike analysiert auch im Kontext Herkunft und Funktion des Volksbegriffs, der ethnisch ein- und ausgrenzt, damit bei Pegida & Co. besser aufgehoben ist als bei emanzipatorischen Bewegungen, wie den 1989-er Revolutionären oder den S21-GegnerInnen, deren Schlachtruf besser „Wir sind die Bürger“ wäre – und Bürgerinnen natürlich!

& viele Grüße von Werner